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Kinder in den Hörsaal!

Rund 300 Schülerinnen und Schüler melden sich pro Semester bei der Kinder-Uni an, um Vorlesungen zu besuchen und Campusluft zu schnuppern. Für das FORUM durften wir den zwölfjährigen Bennett in seine erste Kinder-Uni-Vorlesung begleiten.

Es ist noch früh an diesem Samstagmorgen, in nur unregelmäßigen Abständen öffnet sich die schwere Tür zum Ostflügel des Schlosses und einige wenige verschlafen dreinblickende Studierende durchqueren die Eingangshalle ein Richtung Bibliothek. Plötzlich jedoch kommt Leben auf: Kleine Schuhe trippeln die Treppe hinauf, verstohlenes Gemurmel, ein Kinderlachen. Eine lange Schlange bildet sich vor dem großen Hörsaal SN 163. Kinder in der Uni? Was auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen mag, hat in Mannheim seit über zehn Jahren Tradition: die Kinder-Uni. Heute ist die erste von drei Vorlesungen der Kinder-Uni im Frühjahrssemester 2023. Mit dabei und das zum ersten Mal ist auch der zwölfjährige Bennett, den wir für das FORUM begleiten dürfen. Neugierig schaut er sich um. Von außen kennt er das Barockschloss natürlich, denn er wohnt in Mannheim – aber drinnen war er bis jetzt noch nicht. Damit sich Bennett und seine rund 100 Mitstreiterinnen und Mitstreiter für die Dauer der Kinder-Uni wie echte Studierende fühlen, bekommen sie nun zuallererst einmal einen Studierenden­ausweis ausgehändigt. Stolz wedelt Bennett mit dem Ausweis und deutet mit dem Finger auf seinen ersten Stempel: Für jede Kinder-Uni-Vorlesung, die er in diesem Frühjahr besuchen wird, wird ein weiterer hinzukommen.  

Und dann geht’s endlich in den Hörsaal. „Hier sieht es ein bisschen so aus, wie in meinem Physik-Saal in der Schule nur in riesig“, staunt der 7. Klässler des Ludwig-Frank-Gymnasiums und fügt an: „Irgendwie habe ich mir so einen Hörsaal anders vorgestellt: vielleicht eher rund wie den Bundestag!“ So langsam füllt sich der Saal, eifrig werden die Tische r­untergeklappt und vereinzelt sogar Block und Mäppchen ausgepackt. „Gleich geht es bestimmt los“, flüstert Bennett, als Prof. Dr. Frederik Armknecht unten vor die Tafel tritt und seinen Laptop anschließt. Auf das heutige Thema „Top Secret – das muss unter uns bleiben!“ freut sich der Schüler besonders, denn es wird sich alles um Geheimcodes drehen. Frederik Armknecht beginnt seine Vorlesung mit einem herzlichen „Na, geht es euch gut?“ in die Runde und stellt gleich die nächste Frage: „Was heißt überhaupt Top Secret, wisst ihr das?“ Sofort schießen einige Hände in die Höhe, ohne jede Scheu antworten die Kinder dem Professor auf die Frage. Als Armknecht nun beginnt, seine Folien zu zeigen, steigert sich die Begeisterung noch einmal immens, denn die Rahmenhandlung der Vorlesung dreht sich um das Computer­spiel Minecraft. Nun sind die Kids Feuer und Flamme, denn hier sind sie allesamt echte Expertinnen und Experten. „Ich habe sogar den passenden Pulli an“, murmelt Bennett grinsend und zeigt auf das Minecraft-Emblem auf seiner Brust. Beispielhaft an den Minecraft-Charakteren erklärt der Inhaber des Lehr­stuhls für Praktische Informatik IV den Sinn und die Funktions­weise von verschlüsselten Nachrichten, gemeinsam mit den Kindern probiert er verschiedenen Methoden aus, immer wieder dürfen einzelne von ihnen nach vorne und selbst etwas auf den Laptop schreiben, das dann live auf der Leinwand erscheint. Das erklärte Ziel: der böse Enderman soll die Nachricht, die sich Protagonist Steve und ein Dorfbewohner schreiben, nicht entschlüsseln können. Auch Bennett reckt fleißig die Hand und schlägt einen alternativen Buchstabenschlüssel vor. „Ich würde F statt Y probieren“, sagt er mit fester Stimme in den Saal hinein.  

„Ich habe jetzt schon zum zweiten Mal bei der Kinder-Uni mitgemacht und das ist etwas, was mich auch diesmal wieder aufs Neue so unglaublich positiv überrascht hat: Diese mutige und rege Beteiligung der Kids!“, erzählt Armknecht nach der Vorlesung begeistert. 2017 habe er die Vorlesung für die Kinder-Uni erarbeitet – Inspiration seien damals ohne Zweifel seine beiden Söhne gewesen. „Die Kinder-Uni richtet sich an Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren und damals waren meine eigenen Kinder genau in diesem Alter und echte Minecraft-Fans. Ich wollte, dass sie mitbekommen, was ich beruflich mache. Und so haben sie mir geholfen, die Rahmengeschichte für die Vorlesung zu erarbeiten und waren dann später auch als Zuhörer mit dabei“, erinnert sich Armknecht. Als man ihn nun, sechs Jahre später, erneut angefragt habe, habe er ohne lange nachzudenken zugesagt. „Ich finde die Idee der Kinder-Uni sehr gut – Menschen die Uni nahezubringen, die sonst damit nicht direkt in Berührung kommen würden“, fasst der Informatiker zusammen. Genau dies war von Beginn an der Gedanke hinter der Kinder-Uni, als diese im Herbst 2012 gemeinsam von der damaligen Prorektorin Prof. Dr. Eva Martha Eckkrammer, der Kommunikations­abteilung der Universität Mannheim und dem Studium Generale gegründet wurde. Nahe an der Lebens­welt der Kinder sollen die Veranstaltungen sein und ihnen dadurch den spielerischen Zugang zur Wissenschaft ermöglichen. Weitere erklärte Ziele: Kinder früh für den Kosmos Universität zu begeistern, Berührungs­ängste abzubauen und ihnen ein Studium als etwas durchaus Machbares vor Augen zu führen.  

Ob Minecraft wohl noch ein Trendthema sei? Das sei gleich die erste Frage gewesen, die Armknecht nach seiner Zusage zur Kinder-Uni 2023 seinen inzwischen schon großen Söhnen gestellt habe. Dass dies in jedem Fall so ist, davon zeugt das einhellige Raunen, dass durch den Saal geht – jedes Mal, wenn in den vom Professor animierten Videos doch wieder der Enderman in irgendeiner Ecke auftaucht. „Ich verstehe die Faszination der Kids für Videospiele. Mathematik war immer mein Lieblingsfach und mein Vater war technikbegeistert. So hatten wir früh eine Spielkonsole und mit zwölf Jahren habe ich meinen ersten PC geschenkt bekommen, gemeinsam mit Freunden haben wir uns damals das Programmieren beigebracht“, erinnert sich Armknecht an seine eigene Kindheit. Aus der kindlichen Faszination für Mathematik und Informatik wurde später ein Beruf, der sich an der Schnittstelle der beiden Fächer bewegt. In der Kryptografie, der Wissenschaft der Verschlüsselungen promovierte Armknecht und das Thema fasziniert ihn nach wie vor: „Ein Geheimnis zu haben oder einem Geheimnis auf die Spur zu kommen – das ist für jeden interessant, oder?“  

Bennetts strahlende Augen nach der Vorlesung beantworten Armknechts Frage mit einem eindeutigen „Ja!“ – das Thema scheint die Kids abgeholt zu haben. Es habe ihm Spaß gemacht, sagt der 12-Jährige. Viele der Verschlüsselungs­methoden seien neu für ihn gewesen und er habe einiges gelernt. Zum Beispiel, dass das „E“ der in deutschen Texten am häufigsten vorkommende Buchstabe sei. So wie Bennett scheint es vielen der Kinder-Uni-Besuchenden zu gehen, denn die Veranstaltungen laufen seit Jahren erfolgreich und sind immer frühzeitig ausgebucht. Auch ihm habe es erneut großen Spaß bereitet, sagt Frederik Armknecht. Besonders an der Kinder-Uni sei auch das Ende der Vorlesung, erzählt der Professor dann noch und lacht dabei herzlich: „Die Studierenden, die klopfen oder applaudieren am Ende kurz, aber das kennen die Kids natürlich nicht. Die machen das wie in der Schule – sie springen auf und rennen in die Pause!“  

Text: Jule Leger/Mai 2023