Spengel: Der Einstieg in die Steuerlehre ist schwierig, weil es eine Rechtsmaterie ist. Die allermeisten Regeln befinden sich im Gesetz und das ist eine trockene Sache. In der Anwendung sind Steuern hingegen interessant – sie betreffen auch jeden persönlich. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, gerade in der Bachelor-Vorlesung weitestgehend auf die Gesetzeslektüre zu verzichten. Meine Studierenden lernen vielmehr anhand von Beispielfällen die wesentlichen Regeln der Besteuerung kennen und anzuwenden.
Spengel: Wenn man eine Vorlesung vor mehreren hundert Studierenden hält und dann das Gesetz herausholt, um daraus vorzulesen, hat man die Hälfte der Studierenden nach einer halben Stunde verloren. Dann fängt man an, darüber nachzudenken, wie man die Vorlesung verändern kann, um die Studierenden bei der Stange zu halten. Das war ein relativ langer Prozess, der jetzt in unserem neuen Veranstaltungskonzept gemündet hat. Darin setzen wir weniger auf Bücher und mehr auf Videos und Onlinequellen.
Spengel: Wir konnten durch das neue Konzept die Präsenzzeit in der Vorlesung von 14 auf 11 Vorlesungswochen pro Semester kürzen. Davon profitieren die Studierenden, weil sie mehr Zeit für die Klausurvorbereitung haben. Das sieht man auch deutlich am Lernerfolg. Dank der Online-Vorlesung können sich die Studierenden außerdem mit den Inhalten beschäftigen, wann und wo immer sie Zeit dazu haben. Der Arbeitsaufwand für die Veranstaltung an sich ist aber keinesfalls zurückgegangen. Die Videos sind schließlich nicht nur zum Konsumieren da, es gibt dazu Testfragen und weiterführende Literatur.
Spengel: Ich habe es schon immer abgelehnt, komplette Vorlesungen einfach aufzuzeichnen. Das ist didaktisch total falsch und hat mit moderner Lehre nichts zu tun. Ein MOOC ist hingegen eine konzeptionelle Klammer um die Veranstaltung. Ich war zum ersten Mal so richtig davon überzeugt, als ich im vergangenen Jahr an der Konzeption des ersten MOOC der Mannheim Business School beteiligt war. Mich als neugierigen Menschen hat das absolut begeistert und überzeugt.
Spengel: Man sollte nicht denken, dass man weniger Arbeit hat, wenn man einen MOOC produziert. Es braucht einige Zeit, so etwas zu konzipieren, bis es didaktisch hervorragend und optisch ansprechend ist. Ohne mein Team am Lehrstuhl hätte ich das vermutlich nicht geschafft. Außerdem müssen wir den MOOC ständig prüfen und verbessern, zumal sich Steuergesetze oft ändern. Doch der Aufwand lohnt sich: Ich fühle mich in der Präsenzvorlesung viel wohler, weil die Videos die steuerlichen Regelungen und Zusammenhänge vorab vermitteln. Da kann ich die Studierenden dann ziemlich gut abholen.
Spengel: Man geht ja persönlich in eine Veranstaltung, um besser zu verstehen, was man aus Büchern oder Videos nicht lernen kann. Wenn ein Professor nur aus Büchern vorliest, kann man auf die Vorlesung verzichten. Aber wenn er mehr zu erzählen hat, mit den Studierenden diskutiert und das Gelernte anwendet, dann hat die Vorlesung einen beachtlichen Mehrwert. Und so etwas wird immer von Bedeutung bleiben. Wie viel man letztendlich vom Basiswissen in MOOCs auslagern kann, hängt dann jeweils vom Fach ab.
Spengel: Wenn man sich seine eigene Lehr-Evaluation anschaut, dann muss jeder selbst entscheiden, ob er seinen Stiefel weitermacht oder den Anspruch an sich selbst besitzt, in der Lehre besser zu werden. Bei mir war das eine völlig individuelle Entscheidung. Das hat auch nichts damit zu tun, bei den Studierenden beliebter werden zu wollen, sondern damit, dass ich einfach gut ausbilden möchte – und MOOCs sind da nur eine Möglichkeit von vielen.
Interview: Nadine Diehl / Oktober 2018