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Forscher-Porträt: Prof. Dr. Jutta Mata

Bluthochdruck, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Diabetes – das alles können Folgen von Fettleibigkeit sein. Zehnmal so viele Kinder wie vor 40 Jahren tendieren heute zu Adipositas, ihre Lebens­erwartung liegt damit unter dem Durchschnitt. Eine, die hierbei nicht länger zusehen will, ist die Mannheimer Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Jutta Mata. In ihrer Forschung untersucht sie, woher Fettleibigkeit kommt und wie wir sie besiegen können.

Wer dick ist, ist selber schuld – so lautet die landläufige Meinung. Einfach weniger essen, dann wird das schon. Leichter gesagt als getan, weiß die Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Jutta Mata. Das zeigt zumindest ihre Forschung: Die identifiziert fettleibige Menschen nicht als willensschwach, sondern als Teil eines Öko­systems, das sich die vergangenen Jahrzehnte stark verändert hat. „Die westliche Welt ist ein Schlaraffenland geworden, in dem sprichwörtlich Milch und Honig fließen. Die Lebens­mittelindustrie gibt Unmengen von Geld für den perfekten Knack, den perfekten Schmelz und die perfekte Süße aus. Meistens wissen wir nicht mal, wie viel Zucker in unseren Lebens­mitteln steckt“, sagt die Wissenschaft­lerin.

Jutta Mata hat untersucht, wie Eltern die Ernährung ihrer Kinder einschätzen und kommt zu besorgniserregenden Ergebnissen. Der Zuckergehalt vieler Lebens­mittel wird um ein Vielfaches unterschätzt. Orangensaft und Fruchtjoghurt sind dabei die Klassiker. Fehlendes Wissen oder Laientheorien, wie dass sich der berühmte Babyspeck irgendwann schon verwächst, sind typische Gründe für die Fehleinschätzungen. Mit fatalen Folgen für die Lebens­qualität: Hier sind übergewichtige Kinder mit krebskranken Kindern gleichauf. Auch in ihrer Zukunft sind sie von geringerer Lebens­erwartung, niedrigeren Löhnen, höherer Arbeits­losigkeit, weniger Beziehungen und mehr chronischen Erkrankungen betroffen – das zeigt die Forschung.

„Wir können nicht erst darüber nachdenken, was mit diesen Menschen passiert, wenn sie 18 sind. Wer mit fünf Jahren bereits fettleibig ist, bleibt das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch“, erklärt die Wissenschaft­lerin, die auch zweifache Mutter ist. „Jeder Euro, den wir bei Kindern und Jugendlichen heute in die Prävention stecken, zahlt sich später mehrfach aus.“ Jutta Mata forscht an besser funktionierenden Programmen – denn die bisherigen Ansätze hätten in der Intervention und Prävention von Adipositas bisher zu wenig Erfolg gezeigt. Kein Wunder: Sie gehen größtenteils von einem isolierten Individuum aus. Die Gesundheitspsychologin untersucht deshalb schwerpunktmäßig auch die sozialen Einflüsse von Essen. „Wir haben bislang so getan, als ob der Mensch alleine isst und daher sein Wissen, seine Motivation und Intention direkt in eine gesündere Ernährung umsetzen kann. Dabei ist gemeinsam Essen ein zentraler Bestandteil des Zusammenseins und wirkt sich massiv auf Ernährungs­entscheidungen aus“, erklärt die Gesundheitspsychologin, deren wissenschaft­liche Arbeiten mehrfach ausgezeichnet wurden.

So hat sie beispielsweise nicht nur herausgefunden, dass häufigere Familienmahlzeiten mit gesünderer Kinderernährung zusammenhängen, sondern auch was genau Familienmahlzeiten gesünder macht: Je länger die Familie gemeinsam isst, desto mehr Obst und Gemüse werden während dieser Mahlzeit verzehrt, dafür weniger Nachtisch. Schon 7–10 Minuten länger führen zum anderthalbfachen Obst- und Gemüsekonsum. Auch eine positive Atmosphäre am Tisch oder Eltern als positive Rollenvorbilder helfen. „Im besseren Verständnis von sozialen Essenssituationen liegt ein großes, niedrigschwelliges und kostengünstiges Interventions­potenzial. Wenn wir die soziale Komponente nicht mitdenken, sind Interventions­programme oft zum Scheitern verurteilt“, erklärt sie.

Jutta Mata setzt nicht auf Meinungen oder scheinbar logische Schlussfolgerungen, sondern auf Empirie. Nicht nur als Wissenschaft­lerin ist das ihre Devise, sondern auch in ihrer Funktion als zentrale Gleichstellungs­beauftragte der Universität Mannheim. Seit knapp einem Jahr ist sie im Amt und verfolgt von Anfang an einen eigenen Ansatz. Gleichstellung – ein Thema, das mit vielen Emotionen verbunden ist und oft zu hitzigen Debatten führt – versachlicht sie, indem sie aktuelle Forschung heranzieht, um herauszufinden, welche gleichstellungs­bezogenen Maßnahmen tatsächlich wirken.

Ein Thema ist dabei die Rekrutierung exzellenter Wissenschaft­lerinnen. Eine Schraube, an der sie drehen will, ist nicht allein die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern bereits die Stellen­ausschreibung. „Die Forschung zeigt klar, dass sich Frauen seltener bewerben, wenn Ausschreibungen viele spezifische Anforderungen enthalten. Dann haben viele das Gefühl, nicht vollständig qualifiziert zu sein. Darauf haben wir bisher überhaupt kein Augenmerk gelegt“, erklärt Jutta Mata. Auch die Frage, wie Familienzeiten auf das akademische Alter angerechnet werden, ist bisher nicht einheitlich geregelt. Dabei gibt es empirische Evidenz, dass der Anteil von Frauen, die eine Lebens­zeitprofessur an Spitzenunis erhalten, um 22 Prozent sinkt und der von Männern um 19 Prozent steigt, wenn ihnen pro Kind die gleichen Familienzeiten angerechnet werden. Entsprechende Änderungen wird sie für den neuen Berufungs­leitfaden vorschlagen, den sie im November mit dem Forschungs­rat diskutieren wird. Jutta Mata hat aktuelle Studien zu diesen und vielen anderen Themen von Frauenquoten, Anti-Bias-Trainings bis zu aktiver Rekrutierung gesammelt, um mit evidenz­basierten Argumenten Entscheidungen für die Universität zu treffen, die nachweislich etwas für die Chancen­gerechtigkeit bringen. Gleichzeitig will sie auch die Aus­wirkungen der Gleichstellungs­arbeit an der Universität Mannheim empirisch evaluieren, um besser zu verstehen, was welche Maßnahme gebracht hat.

Jutta Matas Leidenschaft, sich für Frauen einzusetzen, kommt nicht von ungefähr. Während Studium und Promotions­zeit hatte sie wenige weibliche Vorbilder. Nach dem Abschluss ihres Studiums der Psychologie 2004 an der Humboldt-Universität zu Berlin und mehreren Forschungs­aufenthalten in den USA promovierte die gebürtige Berlinerin in einem internationalen Graduiertenkolleg am Max-Planck-Institut für Bildungs­forschung. Als Postdoktorandin war sie an der Sportfakultät der Universität Lissabon und dann für zwei Jahre in Stanford. „Das ist für Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaft­ler, wie wenn Kinder in einen Süßigkeitenladen kommen. Dort herrscht ein toller Spirit. Alle arbeiten sehr hart, doch die Mühe zahlt sich am Ende aus“, erinnert sich die 41-Jährige. Nicht nur den „American Spirit“ hat sie nach Deutschland mitgebracht. Hier kam sie auch mit vielen weiblichen Vorbildern in Berührung – international erfolgreichen Professorinnen. Die Art und Weise, wie sie in dieser Männerwelt kommunizierten und auftraten, hat Jutta Mata sich abgeschaut. „Sie waren sehr freundlich und doch verbindlich und hart in der Sache“, sagt die Mannheimer Professorin. Diese Erfahrung sei für sie prägend gewesen und stimmt auch mit den Forschungs­ergebnissen überein, die zeigen, wie wichtig Rollenvorbilder für die eigene Laufbahn sind.

Heute ist Jutta Mata selbst Vorbild für viele junge Menschen: In diesem Jahr hat sie den Lehr­preis der Universität erhalten. Die Studierenden lobten die Wissenschaft­lerin in ihrer Laudatio für ihr Engagement in der Lehre in den höchsten Tönen – und betonten auch ihre Vorbildfunktion. Privat belohnt sich Jutta Mata gern mit einem guten Essen: „Ich bin ein richtiger Foodie. Ich finde es spannend, neues Essen auszuprobieren und die Vielfalt zu genießen. Mich mit Ernährung auch in meinem Beruf auseinandersetzen zu dürfen, empfinde ich als großes Privileg.“

Text: Nadine Diehl / Oktober 2019