KI in der Lehre – Smartes Studium, smarte Lehre
ChatGPT zum Schreiben einer Hausarbeit nutzen: Das durften Studierende bei Medien- und Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Hartmut Wessler. Was als Seminar und Prüfung ohne KI-Unterstützung geplant war, wurde für Wessler, die Studierenden und auch die Universität Mannheim im Frühjahr 2023 zum Experiment.
Frühjahrs-/Sommersemester 2023, immer dienstags um 13:45 Uhr: Im Seminarraum 308 des Gebäudes B6 auf dem Campus der Universität Mannheim trifft sich eine Gruppe von 25 Studierenden mit ihrem Professor, Dr. Hartmut Wessler. Sie sind hier, um über Filterblasen und Echokammern zu diskutieren. Doch in diesem Seminar gibt es einen ungewöhnlichen Gast: ChatGPT – ein KI-gesteuerter Chatbot.
Im Seminar beschäftigten sich Wessler und die Studierenden mit der Frage, ob Personen im Internet Informationen zugespielt werden, die ihre – beispielsweise politischen – Ansichten bestätigen. „Das bestärkt sie in ihren Meinungen und lässt sie andere nicht mehr wahrnehmen“, sagt Wessler. „Allerdings zeigt die Forschung der letzten drei Jahre, dass Filterblasen und Echokammern, wie diese Phänomene genannt werden, zwar existieren, aber nicht die Bedeutung und Sprengkraft haben, wie oft angenommen wird“. ChatGPT in seinem Seminar zu verwenden, hatte er nicht geplant: „Aber dann wurde Anfang des Jahres die öffentliche und auch universitäre Diskussion um den Chatbot intensiver, es ging um Regelungen oder Verbote. Und da ich mich für KI als Sozial- und Kulturtechnik interessiere, die Studierende in der Zukunft brauchen werden, entschied ich mich, ChatGPT einzusetzen“, erklärt der Wissenschaftler. Auch die Studierenden waren von der Idee überzeugt.
Inhaltlich passt die Zusammenarbeit mit einer KI, die mit Abermillionen Texten aus dem Internet und anderen Quellen gefüttert wurde, gut zu einem Seminar, dass sich mit Medienkonsum beschäftigt. Zunächst ist das Seminar jedoch wie jedes andere aufgebaut und beginnt ganz traditionell mit studentischen Vorträgen und Diskussionen. Die letzten 20 Minuten der Sitzungen sind dann für ChatGPT reserviert. Live über den Beamer verfolgen die Studierenden, wie Wessler den kostenlosen Zugang der Version GPT-3.5 öffnet und Befehle, sogenannte Prompts, eintippt: „Fasse mir den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Echokammern zusammen“, „Wie stark sind Filterbasen-Tendenzen auf TikTok?“ oder auch: „Inwiefern begünstigt ein populistischer Kommunikationsstil die Bildung von Echokammern im Internet?“. Und dann antwortet die KI. Silbe für Silbe „tippt“ sie ihre Antworten in das Chatfenster – in Echtzeit können Wessler und seine Studierenden beobachten, wie ChatGPT seinen Text schreibt.
„Wir haben versucht, ein genaues Verständnis der KI zu bekommen und sie auf vielerlei Weise zu testen – zum Beispiel durch das Spezifizieren der Befehle, wenn wir mit dem Ergebnis zunächst nicht zufrieden waren“, sagt Wessler. „Da die Studierenden durch das Seminar viel zu Filterblasen und Echokammern wussten, hatten sie den aktuellen Forschungsstand parat und konnten die Ergebnisse der KI sehr gut einordnen. Zufrieden waren sie allerdings mit diesen nur selten.“ Ein Grund: Veraltete Forschungsstände und fehlende oder falsche Quellenangaben. Die Version GPT-3.5 wurde bis Herbst 2021 trainiert und seitdem hat sich noch einiges in der Forschung getan, was die KI aber nicht wissen kann. Hinzukommt, dass man das Vorgehen der KI verstehen muss, denn ChatGPT ist ein reines Sprachmodell und berechnet mithilfe von Wahrscheinlichkeiten, welches Wort im Text als nächstes passen könnte. Es prüft nicht, ob der Text inhaltlich und fachlich korrekt ist.
Basierend auf seinen Erfahrungen aus dem Seminar vertrat Wessler eine klare Meinung zum Umgang mit der KI auch im Senat der Universität. „Zwei Mal haben wir im Frühjahr über ChatGPT gesprochen und ich habe mich stark gemacht für das Experimentieren in Seminaren oder Vorlesungen und das gemeinsame Kennenlernen der Technik“, sagt der Wissenschaftler. Natürlich war der Umgang mit ChatGPT und seine möglichen Folgen für Prüfungen bereits ein großes Thema innerhalb der Universität. Das Zentrum für Lehre und Lernen (ZLL) der Universität Mannheim veröffentlichte Ende Mai eine Handreichung, die den Lehrenden Möglichkeiten aufzeigt, wie sie ChatGPT einsetzen können.
An einen Vorschlag aus der Handreichung kann Wessler einen Haken setzen: von ChatGPT erzeugte Texte vor dem Hintergrund des jeweiligen Faches auf ihre inhaltliche Qualität analysieren. Die Studierenden aus Wesslers Seminar haben vor allem gelernt, kritisch mit den Ergebnissen der KI umzugehen – nicht nur im Seminar, auch bei ihren Hausarbeiten, in denen sie und auch ChatGPT eine Forschungsfrage zum Seminarthema beantworteten. Die Antwort der KI mussten sie dann bewerten. „Sie haben gelernt, dass die KI nicht korrekt Forschungsfragen beantworten kann, es wird immer zusätzlich eine Literaturrecherche ihrerseits benötigt. Daher sehe ich, zumindest bei den Studierenden aus meinem Seminar, keine Gefahr, dass sie sich von ChatGPT eine ganze Hausarbeit schreiben lassen“, sagt Wessler. Er sei aber in jedem Fall für eine Kennzeichnungspflicht, wenn ChatGPT beim Schreiben eingesetzt werde.
Im Frühjahr 2023 war der Medien- und Kommunikationswissenschaftler mit seinem Seminar zu ChatGPT noch ein Pionier – zumindest außerhalb der Fakultät für Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsmathematik, für die Künstliche Intelligenz zum Tagesgeschäft gehört. Für das Herbst-/Wintersemesters 2023 zeigt eine Suche im Vorlesungsverzeichnis aber, dass Kolleg*innen bereits nachgezogen haben. Wessler selbst gibt dieses Semester kein weiteres Seminar, weil er einen Forschungsaufenthalt in Hamburg absolviert, um sich noch intensiver mit Künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Kommunikation zu beschäftigen. „Ich fand das Seminar für mich und die Studierenden aber sehr wertvoll und bin auch mit den Ergebnissen der Hausarbeiten zufrieden. Und die Studierenden haben sich bedankt, dass ich auf den Zug aufgesprungen bin“, erklärt er. Für die Zukunft kann er sich weitere Seminare vorstellen – dann vielleicht mit ChatGPT als selbständigem Diskutanten oder anspruchsvolleren Auseinandersetzungen mit anderen (Sprach-)Modellen.
Text: Luisa Gebhardt/