Missbrauchsstudie zum Bistum Speyer
Die Mannheimer Historikerin apl. Prof. Dr. Sylvia Schraut veröffentlicht die erste Teilstudie zur Strukturanalyse des sexuellen Missbrauchs im Bistum Speyer seit 1946. Die Veröffentlichung stellt einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung dar.

Die Universität Mannheim hat die erste Teilstudie des unabhängigen Forschungsprojekts zum sexuellen Missbrauch im Bistum Speyer veröffentlicht. Unter der Leitung von apl. Prof. Dr. Sylvia Schraut beleuchtet die Untersuchung die strukturellen, historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sexuellen Missbrauch im kirchlichen Raum über Jahrzehnte hinweg ermöglichten und dessen Aufdeckung behinderten.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen nicht nur die Taten selbst, sondern vor allem die Frage: Wie konnte es zu systematischem sexuellem Missbrauch im kirchlichen Kontext kommen – und warum blieb er so lange unbeachtet, ungeahndet und ungehindert? Dabei setzt das Forschungsteam auf einen interdisziplinären Ansatz aus Geschichtswissenschaft, Sozialpädagogik und Verwaltungsgeschichte. Große Bedeutung hat dabei der Vergleich von beschuldigten und nicht beschuldigten Priestern. Dazu wurde eine Datenbank mit allen Priestern des Bistums angelegt.

Ein zentrales Ergebnis der Studie: Sexueller Machtmissbrauch wurde früher als individuelles Fehlverhalten von einzelnen Geistlichen interpretiert. Die Kirche hat die Beschuldigten entweder individuell bestraft oder sie gar vor Anschuldigungen geschützt. Strukturelle Probleme innerhalb der Kirche wurden dabei nicht erkannt beziehungsweise ignoriert. Die kirchlichen Strukturen haben somit die Straftaten maßgeblich begünstigt. Gründe dafür waren mangelnde Kontrolle über Ordensangehörige, unklare Zuständigkeiten sowie ein autoritär geprägtes Amts- und Menschenbild innerhalb der Kirche. „Die von Rom gestützte Autonomie der Orden ermöglichte geistliches Handeln im Bistum weitgehend ohne Kontrolle“, stellt Studienleiterin Schraut fest. „Das Aufsichtsverhältnis in der Zusammenarbeit von Orden und Bistum ist bis heute nicht befriedigend gelöst.“
Zweite Teilstudie in 2027
Im Bistum Speyer lassen sich die auch für andere Regionen typischen Kontexte und Konstellationen des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker an Minderjährigen finden. Der Missbrauch fand in katholischen Institutionen statt, beispielsweise in kirchlichen Heimen und im Unterricht, im Zusammenhang mit sakralen Handlungen wie Beichte, im Rahmen eines geistlich-spirituellen Vertrauensverhältnisses sowie während der dienstlichen Tätigkeit der Beschuldigten in den Gemeinden. Die Hälfte der Missbrauchstaten fand in den 1950er und 1960er Jahren statt. In den Folgejahrzehnten ging die Anzahl der Missbrauchstaten zurück.
Mit ihrer Forschung will die Universität Mannheim nicht nur einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung leisten, sondern auch Impulse für Prävention und strukturelle Reformen geben. Derzeit bereitet das Forschungsteam die zweite Teilstudie vor, die sich mit detaillierten Fallanalysen beschäftigen wird (geplante Veröffentlichung: 2027).
Das unabhängige Projekt „Sexueller Missbrauch im Bistum Speyer durch katholische Priester, Diakone, Ordensangehörige und Mitarbeitende des Bistums (ab 1946)“ startete im April 2023 und ist auf vier Jahre angelegt. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Speyer hat die Studie initiiert. Finanziert wird sie durch das Bistum.
Text: Yvonne Kaul / August 2025