Studie: Repräsentation allein ist nicht ausreichend für mehr Geschlechtervielfalt

Die stärkere Repräsentation von Frauen und Minderheiten in Gremien, die das Führungs­personal von Organisationen bestimmen, reicht nicht aus, um zu mehr Geschlechter-Diversität zu kommen, solange zugleich nicht auch ein kultureller Wandel stattfindet. Das ist das Ergebnis einer jüngst publizierten Studie.

Pressemitteilung vom 22. April 2021
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Ein Team von Wissenschaft­lern um die Ökonomen Nicola Persico von der Northwestern University und Bernhard Ganglmair von der Universität Mannheim und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschafts­forschung  (ZEW) hat dazu die Internet Engineering Task Force (IETF) untersucht, eine Organisation, die sich mit der technischen Weiter­entwicklung und freiwilligen Standards des Internets befasst.

Operative Führungs­kräfte der IETF werden durch ein zehnköpfiges Auswahlkomittee, dem so genannten NomCom, berufen. Die NomCom-Mitglieder selbst werden jedes Jahr nach dem Zufallsprinzip aus einem Pool Freiwilliger gewählt.

„Im Fall der IETF kam es erst dann zu vermehrten Berufungen von Frauen, als kulturelle Normen, die Diversität und Inklusion fördern, mehr in den Vordergrund rückten”, schreiben die Wissenschaft­ler.

„Unsere Ergebnisse sind hochrelevant für die aktuelle Diskussion zu Frauenquoten in den politischen Parteien oder in den Führungs­etagen von Unternehmen. Sie machen deutlich, wie wichtig es ist, auf kulturelle Normen zu achten“, fasst Ganglmair zusammen. „Eine stärkere Beteiligung von Frauen muss Hand in Hand gehen mit einem Wandel in der Gesamt­organisation“.

In den Jahren 2005 bis 2011 ist zwar der Anteil von Frauen im Komitee der IETF gestiegen. In diesem Zeitraum wurden aber sogar weniger Frauen in Führungs­positionen berufen als in den Jahren zuvor. Erst als es in den Jahren 2012 bis 2020 zu einem „kulturellen Regimewechsel” gekommen sei, habe sich der Frauenanteil erhöht.

Kultur ist hier als ganzheitliche, informelle Norm definiert, sowohl gesellschaft­lich als auch organisations­spezifisch, wie sie etwa in öffentlichen Reden, Verhaltenskodizes und anderen Aktivitäten zutage tritt, die technisch nicht mit dem Berufungs­prozess zusammenhängen, aber das Verhalten der Mitglieder mit Blick auf Geschlechter-Stereotypen verändern.

Die Studie liefere „überzeugende Evidenz, dass sich der kulturelle Rahmen der IETF um das Jahr 2012 geändert hat. Das geschah zum einen aufgrund von aktiven Bemühungen innerhalb der Organisation und zum anderen infolge einer breiteren gesellschaft­lichen Verhaltensänderung hinsichtlich Geschlechtervielfalt und Inklusion”, erklären die Autoren.

Dieser Regimewechsel zeige sich auch im Anteil der E-Mails, die innerhalb der IETF verschickt wurden und den Begriff „Diversität” beinhalten. Er kletterte auf ein Prozent im Jahr 2013 und stabilisierte sich dann auf einem Wert von 0,2 – mehr als doppelt so hoch, verglichen mit dem Durchschnitt vor 2010.

Zur gleichen Zeit steigerte sich das gesellschaft­liche Interesse an der Gender-Diskussion in den Jahren 2011 bis 2012 deutlich, wie Google-Suchanfragen zu entsprechenden Themen zeigen, so die Studie.

Nach der Änderung des kulturellen Umfelds führte eine Frau mehr in dem Auswahlgremium zu einem Anstieg von 11,9 Prozent der Berufungen von Frauen, verglichen mit einem Rückgang um 6,2 Prozent vor dieser Entwicklung, heißt es in dem Papier.

Angesichts der Tatsache, dass Entscheidungen in der IETF enorme technologische und finanz­ielle Aus­wirkungen entfalten, versuchen zahlreiche Unternehmen Mitarbeiter in den Führungs­positionen der Organisation zu etablieren. Die IETF war unter anderem bei der Entwicklung des HTTP-Protokolls und des Email-Protokolls POP3 maßgeblich beteiligt.

„Ohne die Protokoll­entwicklungen in der IETF würde es das Internet, wie wir es heute kennen, nicht geben. Vor diesem Hintergrund ist die Unter-Repräsentation von Frauen in IETF-Führungs­rollen gesellschaft­lich ausgesprochen relevant”, folgern die Autoren.

Weitere Informationen zur Studie

Bernhard Ganglmair ist Mitglied des Sonderforschungs­bereich Transregio 224 EPoS. Das vorgestellte Diskussionspapier ist eine Publikation des Sonderforschungs­bereichs Transregio 224 EPoS. Klicken Sie bitte hier für die vollständige Studie. Eine Liste aller Diskussionspapiere finden Sie hier.

Der 2018 eingerichtete Sonderforschungs­bereich Transregio 224 EPoS, eine Kooperation der Universität Bonn und der Universität Mannheim, ist eine langfristig angelegte Forschungs­einrichtung, die von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) gefördert wird. EPoS befasst sich mit drei zentralen gesellschaft­lichen Herausforderungen: Wie kann Chancengleichheit gefördert werden? Wie können Märkte angesichts der Internationalisierung und Digitalisierung der Wirtschafts­tätigkeit reguliert werden? Und wie kann die Stabilität des Finanz­systems gesichert werden?

Kontakt:
Prof. Dr. Bernhard Ganglmair
Abteilung Volkswirtschafts­lehre
Universität Mannheim
Tel: +49 621 1235–304
E-Mail: ganglmairmail-uni-mannheim.de