Pressemitteilung vom 19. August 2024
Druckversion (PDF)
Ganz gleich, ob es um politische Konflikte, Arbeitsbedingungen, technologischen und medizinischen Fortschritt oder gesellschaftliche Krisen wie Migration, Corona oder Klimawandel geht: Der Frage nach dem angemessenen Umgang mit den Menschen, ihrer Würde und deren Missachtung kommt stets eine entscheidende Rolle zu. Das German Internet Panel (GIP) hat die soziale Würde nun messbar gemacht. Dafür haben die Forscher 3.683 Bürger*innen in Deutschland zu ihrer empfundenen Würde in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz und in der Behandlung durch die Politik befragt.
Die Würde des Menschen ist messbar
Die soziale Würde zeigt sich in der alltäglichen Interaktion in verschiedenen sozialen Bereichen und im Gefühl, von anderen als autonomes und gleichwertiges Individuum ernstgenommen zu werden. Die Studie identifiziert zwei miteinander verbundene Aspekte der sozialen Würde: die Selbstwürde und die Anerkennung durch andere. Selbstwürde bezeichnet das Grundbedürfnis der Menschen, sich selbst als jemanden zu sehen, der*die einen nützlichen und wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl beiträgt. Laut Befragung empfindet die Mehrheit der Bürger*innen (85 bzw. 74 Prozent) ihren Beitrag in Beruf und Gesellschaft als wertvoll und nützlich. Der Anteil derjenigen, die ihren Beitrag zur Demokratie als wertvoll und nützlich erachten, ist etwas geringer (65 Prozent).
In Bezug auf die „Anerkennung durch andere“ wurden in der Studie drei Dimensionen abgefragt: Respekt, Autonomie und Gleichwertigkeit. Eine klare Mehrheit der Menschen in Deutschland (65 Prozent) sieht sich in der Gesellschaft und im Beruf mit Respekt behandelt, in ihren eigenen Entscheidungen geachtet und als gleichwertiges Mitglied akzeptiert. Im Bereich Politik sehen die Ergebnisse allerdings anders aus. Nur knapp die Hälfte der Deutschen fühlt sich von der Politik respektiert. Umgekehrt gibt ein Drittel der Befragten an, von der Politik (eher) nicht mit Würde behandelt zu werden. „Das gilt etwa für die üblichen Floskeln wie ‚Wir müssen unsere Politik besser erklären‘ oder ‚Wir müssen die Wählerinnen und Wähler abholen und mitnehmen‘, die den Eindruck bekräftigen, die Bürgerinnen und Bürger seien letzten Endes unmündige Kinder“, erklären die Autoren Spalt und Traunmüller.
Erwartung vs. Erfahrung: die „Würde-Lücke“
Um die Erfahrungen der Befragten mit Würde besser beurteilen zu können, wurden diese auch nach ihren Erwartungen zum respektvollen Umgang, der Wahrung ihrer Autonomie sowie der Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit gefragt. Daraus lässt sich schließen, ob ihrer Würde in Gesellschaft, Arbeitswelt und Politik angemessen Rechnung getragen wird. Differenzen zwischen Erwartung und Erfahrung bezeichnet das GIP als „Würde-Lücke“. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Respekt und Gleichwertigkeit ist den Befragten in allen drei Bereichen wichtiger als Autonomie. Die größte Würde-Lücke zeigt sich eindeutig in der Behandlung durch die Politik, die geringste in der Arbeitswelt.
Bei AfD-Wähler*innen ist die Lücke am größten
Alters- oder Generationsunterschiede wirken sich auf die Würde-Lücke eher wenig aus. Sowohl in der Arbeitswelt als auch der Gesellschaft erleben junge Menschen unter 35 Jahren eine etwas größere Diskrepanz zwischen Erwartung und Erfahrung als ältere Menschen ab 65 Jahren. Allgemein erfahren Frauen, Ostdeutsche und Menschen ausländischer Staatsbürgerschaft im Vergleich zu Männern, Westdeutschen und deutschen Staatsbürger*innen weniger Respekt, als sie es sich wünschen würden. Signifikante Unterschiede gibt es hier allerdings nur in der Arbeitswelt. Große Unterschiede zeigen sich dafür zwischen Menschen mit und ohne höheren Bildungsabschluss. Menschen ohne Hochschulabschluss fühlen sich von der Politik deutlich weniger wertschätzt.
Allgemein sind die Wähler*innen der Parteien in der Mitte des politischen Spektrums am zufriedensten, insbesondere Wähler*innen von CDU/
Warum sind diese Ergebnisse wichtig?
Die Ergebnisse der Studie liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie die Menschen ihre Würde in verschiedenen Gesellschaftsbereichen wahrnehmen, und geben damit Auskunft über die Qualität unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Ausgeprägte Würde-Lücken sind klare Problemindikatoren. Sie verdienen besondere Aufmerksamkeit, auch weil sie sich auf die Lebenszufriedenheit, die wirtschaftliche Produktivität und die demokratische Stabilität in unserer Gesellschaft auswirken könnten. „Als erster Schritt scheint uns unabdingbar, wieder in einen Dialog zu treten, der auf Augenhöhe stattfindet. Vertrauen und Respekt lassen sich schnell zerstören, aber nur sehr langsam und behutsam wieder aufbauen“, so Spalt und Traunmüller.
Den Policy Brief des GIP „Wie tickt Deutschland? 1/
Die neue Berichtserie „Wie tickt Deutschland?“
Die Berichtserie „Wie tickt Deutschland?“ wird nun zum ersten Mal veröffentlicht und soll zukünftig regelmäßig erscheinen. Die Reihe macht in kurzen Reports ausgewählte Zahlen, Fakten und Analysen des German Internet Panels einer interessierten Öffentlichkeit, Journalisten und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern zugänglich. Damit möchte die Reihe einen evidenzbasierten Beitrag zu aktuellen, gerade auch kontroversen gesellschaftlichen und politischen Debatten leisten. Sie ist dabei ausschließlich wissenschaftlicher Evidenz und keiner politischen Sache verpflichtet.
Das German Internet Panel (GIP)ist eine langfristige Studie an der Universität Mannheim. Das GIP untersucht individuelle Einstellungen und Präferenzen, die in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen relevant sind. Zu diesem Zweck werden seit 2012 regelmäßig in ganz Deutschland über 3.500 Personen im Alter zwischen 16 und 75 Jahren zu den verschiedensten Themen online befragt.
Kontakt:
Prof. Dr. Richard Traunmüller
Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und Empirische Demokratieforschung
Universität Mannheim
E-Mail: traunmueller uni-mannheim.de
Fabio Kratzmaier
Nachhaltigkeits- & Forschungskommunikation
Universität Mannheim
E-Mail: fabio.kratzmaier uni-mannheim.de