„Anleger überschätzen sich oft heillos“

Den Indexfonds ARERO, der rein auf wissenschaft­lichen Er­kenntnissen basiert, gibt es nun bereits seit zehn Jahren. Ziehvater ist der Mannheimer BWL-Professor Dr. Dr. h. c. Martin Weber. Über Jahrzehnte war er einer der angesehensten Finanz­experten Deutschlands und ist es immer noch: 2017 hätte er in den Ruhestand gehen können, stattdessen forscht er als Seniorprofessor weiter. Warum es schlecht ist, dass die Deutschen so wenig in Aktien investieren, aber das Sparbuch für manche doch die beste Option sein könnte – darüber sprach der 67-Jährige mit dem FORUM Magazin.

FORUM: Deutschland ist kein Aktienland – nur jeder Sechste investiert in Wertpapiere. Sie selbst sehen das als Problem. Warum?

Weber: Mit Aktien verdienen Sie im Schnitt fünf Prozent mehr als mit dem Sparbuch – selbst wenn man die Inflation und etwaige Verluste herausrechnet. Wenn Sie das über Jahrzehnte lang machen, bauen Sie also auch dementsprechend mehr Vermögen auf. Mit dem Sparbuch machen Sie in der Regel keinen Gewinn. Das gilt sogar für Zeiten, in denen die Zinsen hoch sind. Hoher Zins ist meist nur ein Ausgleich für hohe Inflation. Das ist bei Aktien anders. Insgesamt betrachtet würde eine Mehrinvestition an der Börse also das Vermögensvolumen der Gesamtbevölkerung vergrößern. Deshalb ist es meines Erachtens unbedingt notwendig.

FORUM: Sie haben den Bestseller „Genial einfach investieren“ geschrieben und einen Online-Simulator entwickelt, mit dem sich Finanz­risiken je nach Anlage berechnen lassen. Ist Aufklärung der beste Weg zu einer neuen Aktienkultur in Deutschland?

Weber: Es ist zumindest ein Teil des Weges. Der Rest läuft über Anreize und da ist der Staat gefragt – zum Beispiel über Steuervergünstigungen. In den USA werden private Wertpapieranlagen zur Altersvorsorge staatlich gefördert – man muss die Aktiengewinne erst versteuern, wenn man sie sich auszahlen lässt. Die extremste Variante ist das Zwangs­sparen, das es in Schweden gibt. Da ist es obligatorisch, in Aktien anzulegen. In dieser Bandbreite können politische Entscheidungen getroffen werden.

FORUM: Anhand historischer Daten sieht man, dass die Schwankungen an der Börse gar nicht so groß sind und der Erwartungs­wert von Aktien eigentlich viel höher liegt als gedacht. Trotzdem kann in 30 Jahren viel passieren – Kriege, Hyperinflation, Finanz­crashs. Ist da die Scheu vor dem Aktien­markt nicht verständlich?

Weber: In den letzten zwei großen Weltkriegen haben Aktien längst nicht so gelitten, wie man dachte. Und auch nach Finanz­krisen und hoher Inflation erholt sich die Börse wesentlich schneller als der restliche Markt. Von der Idee her gehört mir mit einer Aktie ja zum Beispiel ein Teil eines Fabrikschornsteins. Der steht da auch noch nach der Hyperinflation, selbst wenn sich der Wert der Aktie zeitweise verringert. Deshalb ist es wissenschaft­lich gesehen ja auch der goldene Weg, seine Investitionen so stark wie möglich zu diversifizieren – also nicht nur in eine einzige Firma zu investieren, sondern in viele verschiedene Branchen auf der ganzen Welt. Das Aktiengeschäft sollte außerdem nicht meine einzige Säule sein, aber die wichtigste. Das Tolle an Aktien ist auch, dass der Preis ihren Wert bestmöglich widerspiegelt. Wenn ich ein Gemälde für 4.000 Euro kaufe, könnte es in Wirklichkeit auch nur 2.000 Euro wert sein.

FORUM: Gibt es einen richtigen Zeitpunkt, um in Aktien zu investieren?

Weber: Das hängt weniger vom Aktien­markt als vom Alter und vom Einkommen ab. Wenn man gerade frisch aus dem Studium herauskommt, will man erst mal eine Wohnung einrichten oder hat noch BAföG abzubezahlen. Aber sobald man etwas zur Seite legen kann, ist es sinnvoll, das Geld in Aktien anzulegen – über einen so langen Zeitraum wie möglich. Vor allem um fürs Alter zu sparen, sind Wertpapiere eine gute Alternative zu anderen Anlage­möglichkeiten.

FORUM: Sie forschen schwerpunktmäßig zu Behavioral Finance, also über das Verhalten von Menschen in Finanz­fragen. Was ist hier eine der zentralen Annahmen?

Weber: Dass sich die Leute oft heillos überschätzen. Wie man optimalerweise anlegt – das weiß man heute relativ genau. Trotzdem machen Anleger oft das Gegenteil und treffen irrationale Entscheidungen, weil sie glauben, die Märkte zu kennen. Sie sind überzeugt, sie könnten Aktien kaufen, wenn sie niedrig stehen und sie wieder verkaufen, wenn sie gestiegen sind. Diese Fähigkeit zum Hellsehen ist natürlich wissenschaft­lich totaler Blödsinn. Behavioral Finance versucht zu verstehen, warum Anleger das so machen und ihnen vielleicht auch zu helfen, zur Rationalität zurückzukehren. Mit unserem Risiko-Simulator wollen wir genau das: Die Leute sollen eine korrekte Vorstellung vom Risiko bekommen und nachher schlauer sein als vorher.

FORUM: Der ARERO Fonds basiert auf wissenschaft­lichen Er­kenntnissen und setzt auf die Streuung von Risiko – es wird in Aktien aus unterschiedlichsten Branchen und Ländern investiert, in Renten und Rohstoffe. Als er 2008 auf den Markt kam, war die Idee völlig neu. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Weber: Ein Jahr zuvor hatten wir den Börsenratgeber „Genial einfach investieren“ geschrieben, mit dem wir Privatinvestoren über psychologische Fallstricke bei der Geldanlage aufklären wollten. Daraufhin gab es viele Anfragen, wie man nun genau investieren solle. Das war die Geburtsstunde des Fonds. Die DWS, damals Teil der Deutschen Bank, ließ sich auf unser Experiment ein und hat den Fonds für uns aufgesetzt – mit Erfolg: Von damals 100 Euro sind wir heute auf fast 200 Euro gestiegen, während viele andere Fonds aus dieser Zeit schon längst geschlossen wurden. Dass so viele Menschen in ARERO investieren, hat sicher auch damit zu tun, dass wir zu den Fonds mit den geringsten Gebühren zählen – das schreckt Leute nämlich oft ab. Auch wenn der Kurs mal fällt, werfen ihn die Anleger nicht gleich ab, sondern vertrauen auf die wissenschaft­liche Empirie, die dahinter steckt – und die gibt uns Recht. Wer aber generell das Risiko scheut, sollte trotzdem sein Geld lieber auf einem Sparbuch deponieren. Der Fonds ist weniger riskant als andere, aber auch hier kann man, wie bei jedem anderen Fonds, Geld verlieren, wenn auch in geringerem Maße.

FORUM: Sie sind seit 2017 Seniorprofessor an der Universität Mannheim. Weiter arbeiten statt Ruhestand – Empfinden Sie das als eine gute Sache?

Weber: Fast alle meine Kolleginnen und Kollegen lieben ihren Job. Innerhalb der Professoren­tätigkeit gibt es jedoch auch Dinge, die man nicht so gerne tut. Als Seniorprofessor habe ich den großen Vorteil, dass ich mich nun auf die Sachen konzentrieren kann, die mir am meisten Spaß machen. Andere arbeiten im Alter gerne im Garten – und ich forsche eben lieber.

Weitere Informationen: „Genial einfach investieren“ kostenlos auf www.arero.de
Risiko-Simulator und andere Tools auf www.behavioral-finance.de

Interview: Nadine Diehl / April 2019