Ein Bild der Universität Mannheim in einem Pfeil umgeben von weiteren bunten Pfeilen. In der Mtte steht der titel "Start-up Factory - Gründungsgeschichten an der Uni Mannheim".

Gegen das Vergessen

Sie waren politisch missliebig, passten nicht ins System oder waren nach rassenideologischer Definition Jüd*innen: Zahlreiche Angehörige der Handels­hochschule Mannheim – der Vorgängerinstitution der Universität – wurden im Nationalsozialismus Opfer von Verfolgung und Ausgrenzung. Im vergangenen Herbst ist ein Sammelband erschienen, der ihre Biografien dokumentiert.

Schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ist die Lage im Land angespannt: Wirtschaft­lich geht es vielen Menschen schlecht, die politische Polarisierung nimmt zu, bei den Reichstagswahlen 1932 fährt die NSDAP große Gewinne ein. 1933 – nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – wurde die Handels­hochschule Mannheim in die Universität Heidelberg eingegliedert. Von den 17 jüdischen Dozierenden der Handels­hochschule überlebten mindestens sechs die NS-Zeit nicht. Aber auch zahlreiche Studierende sowie Angestellte und Ehrenwürdenträger wurden Opfer der NS-Diktatur. In zwei Seminaren haben Studierende und Teilnehmende im Gasthörendenstudium gemeinsam mit den Seminarleiterinnen Prof. Dr. Angela Borgstedt und Dr. Sandra Eichfelder sowie einigen Externen insgesamt 81 Biografien aufgearbeitet.

Dass sich die Recherche lohnen würde, war für Eichfelder, Leiterin des Universitäts­archivs, klar, nachdem sie für den Gedenkband anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der Neubegründung als Wirtschafts­hochschule 2021 einen Beitrag zum Thema Vergangenheits­bewältigung an der Universität verfasst hatte. „Da wurde deutlich, dass es noch verschiedene Themen gibt, die aufgearbeitet werden müssen. Im aktuellen Band geht es darum, die Opfer zu würdigen.“ Das Rektorat unter­stützte die Arbeit an dem Thema sofort – und so publizierte Eichfelder gemeinsam mit Historikerin Borgstedt im Oktober 2024 den Sammelband Verdrängt, vertrieben, ermordet. Opfer von NS-Verfolgung an der Handels­hochschule Mannheim.

Auf Spurensuche im Archiv

„Am Anfang war es nur eine Liste mit Namen“, berichtet Barbara Woll, die sich als Gasthörerin für die Seminare eingeschrieben hat. „Aber schnell konnte man Verbindungen zu einzelnen Namen herstellen. Einer der Studenten auf der Liste, Ludwig Kahn, kam aus dem Saarland – so wie ich. Den habe ich mir ausgesucht.“ Nach einer Einführung in die Archivarbeit sind sie und die anderen Teilnehmenden in verschiedene Archive gefahren. In ihrem speziellen Fall hat sie auch im Saarland recherchiert. „Das war eine richtige Spurensuche“, beschreibt sie die Arbeit.

Der Rechercheaufwand war groß, bestätigt Eichfelder: „Die Verstreutheit des Aktenmaterials war eine der größten Herausforderungen. Die Personalakten der damaligen Dozierenden sind nicht mehr vor Ort in Mannheim, sondern liegen vor allem in Heidelberg, manche auch in Karlsruhe oder Stuttgart. Auch die Studierenden­akten liegen überwiegend nicht hier, sondern im Archiv der Universität Heidelberg.“

Eine weitere Schwierigkeit: Die Suche begann mit sehr wenigen Informationen. „Von manchen Studierenden hatten wir aus dem Matrikelbuch nur den Namen, da war nicht mal ein Geburtsdatum erfasst“, berichtet Eichfelder. „Bei Menschen mit sehr häufig vorkommenden Namen war es nicht leicht, weitere Informationen zu finden.“ „Manchmal fiel dann trotz intensiver Suche die Biografie sehr kurz aus“, ergänzt Woll. „Es gab aber auch Fälle, bei denen ich am Anfang dachte, ich finde nichts – und dann kam immer mehr zusammen.“

So war es beispielsweise bei dem von Woll bearbeiteten Jakob Karl Kley: „Er wollte im System irgendwann nicht mehr mitmachen, weil er nicht damit einverstanden war, wie es lief. Die Handels­hochschule, an der er nebenamtlich als Dozent arbeitete, hat ihn entlassen, aber er konnte weiter als Amtsgerichtsdirektor tätig sein. Er ließ sich dann aber so lange krankschreiben, bis sein Pensionierungs­gesuch bewilligt wurde.“

„Zusammenarbeit war bereichernd“

Auch Sabrina Brechtel hat an einem Seminar teilgenommen und insgesamt drei Biografien verfasst. „Am spannendsten fand ich Friedrich Röhrer. Seine Biografie zeigt ein ambivalentes Bild. Es ist nicht klar, ob er Opfer oder Mitläufer war“, sagt die Studentin im Lehr­amt Geschichte und Deutsch. Seine Stelle an der Handels­hochschule wurde mit ihrer Auflösung eingespart. Einerseits war Röhrer in früheren Jahren Mitglied in einer Freimaurerloge und verschiedene Quellen legen nahe, dass er pazifistisch eingestellt war. Andererseits bekleidete er später, während des Krieges, wichtige Ämter und Positionen.

Brechtel sagt: „Seine Geschichte hat mich besonders angesprochen, weil er wie ich im Bereich der Pädagogik tätig war. In seinen Schriftwechseln klang er sehr sympathisch. Aber die Akten belegen, dass er in nationalsozialistischen Organisationen Mitglied war. Das verdeutlicht, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern viele Zwischentöne. Man muss immer auch betrachten, unter welchem Druck die Menschen standen.“

Generell sei die Beschäftigung mit dem Thema sehr berührend gewesen, berichtet Brechtel. „Die Menschen, deren Biografien wir erarbeitet haben, haben in Mannheim gelebt und an der Uni studiert – wie ich. Durch diese persönlichen Schicksale wird die Geschichte viel greifbarer und ich habe einen anderen Bezug zu dem Thema bekommen.“

Aus einem weiteren Grund hat die Studentin das Seminar als etwas Besonderes erlebt: „Die Zusammenarbeit von jüngeren Studierenden und den meist älteren Teilnehmenden aus dem Gasthörendenstudium war bereichernd. Wir haben uns sehr gut ergänzt. Wir Jüngeren sind durch die größere zeitliche Distanz zum Thema oft mit einem sachlicheren Blick herangegangen, während die Gasthörenden durch ihre persönliche Verbindung zur Geschichte und ihr ausgeprägtes Interesse eine besondere Tiefe in die Diskussionen eingebracht haben. Und nicht zuletzt konnten wir uns auch praktisch helfen: Die Älteren waren besser darin, alte Handschriften wie Sütterlin zu entziffern. Die Jüngeren waren dafür bei der Recherche im Internet fitter.“

Von der Zusammenarbeit werden wohl auch die nächsten Seminarteilnehmenden profitieren: Ein Folgeseminar ist für kommendes Jahr geplant. „In diesem sollen die Biografien derjenigen aufgearbeitet werden, die möglicherweise von den Umständen profitiert haben“, erläutert Eichfelder.

Text: Katja Bauer / April 2025

Der Sammelband Verdrängt, vertrieben, ermordet. Opfer von NS-Verfolgung an der Handels­hochschule Mannheim ist im Verlag Regionalkultur erschienen.