Fakten versus Fake News: Wie gefährdet ist das Vertrauen in die Wissenschaft?
Matthias Kohring ist Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft und forscht an der Universität Mannheim zu Wissenschaftskommunikation und zu Vertrauen in Medien und Wissenschaft. Im Interview erklärt er, inwiefern das Vertrauen in die Wissenschaft gesunken ist und welche Gefahren damit einhergehen.

FORUM: Während der Corona-Pandemie ist in der Gesellschaft der Eindruck entstanden, dass die Bevölkerung der Wissenschaft nicht mehr traut und teilweise sogar eine ablehnende Haltung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt hat. Können Sie das bestätigen?
Matthias Kohring: Es wird immer behauptet, dass das Vertrauen in die Medien und die Wissenschaft abgenommen hat. Aber wenn man auf die Zahlen schaut, stimmt das eigentlich gar nicht. Es gibt zwar einen harten Kern, welcher der Wissenschaft radikal kritisch gegenübersteht und auch leicht gewachsen ist. Doch 75 Prozent der Gesellschaft sind ihr gegenüber weiterhin positiv eingestellt. Was man allerdings beobachten kann, ist eine Polarisierung der Positionen: Es gibt kaum mehr eine gemäßigte Mitte.
FORUM: Können Sie einen Grund für diese Polarisierung ausmachen?
Kohring: Im Zuge der Pandemie hat sich das herauskristallisiert, weil die Wissenschaft selbst – genauer gesagt einzelne Disziplinen wie die Virologie und Epidemiologie – mehr in den Vordergrund gerückt ist. Wissenschaftler*innen wie Christian Drosten haben die Regierungen beraten, Handlungsempfehlungen gegeben, Impfstoffe entwickelt. Auf der anderen Seite gab es Bürger*innen, die wissenschaftliche Erkenntnisse oder Impfungen aus Überzeugung abgelehnt haben. Den Widerstand gegen Impfungen gibt es insbesondere von anthroposophischer und religiöser Seite schon sehr lange. Der Protest hat sich während der Pandemie aber stärker artikuliert und vernetzt. Viele Zweifelnde haben politisch einen Platz gesucht, den sie mitunter in der AfD gefunden haben. Dadurch sind sie und ihre Meinungen sichtbarer geworden und haben eine neue Qualität gewonnen – auch, weil es nun Politiker*innen gab, die diese öffentlich geteilt haben.
FORUM: Steckt hinter dieser Wissenschaftsskepsis eine Strategie?
Kohring: Es gibt Bürger*innen, die sich aus persönlicher Überzeugung organisieren, ohne dass dahinter unbedingt propagandistische Ziele stecken. Aber grundsätzlich hat die aktive Delegitimierung von Institutionen wie Wissenschaft und Nachrichtenmedien eine strategische Qualität. Früher gab es natürlich auch schon Kritik an etablierten Institutionen. Doch in den vergangenen Jahren hat die Anzahl an Büchern, die Verschwörungsmythen zu diesem Thema verbreiten, stark zugenommen. Da wird systematisch und konzentriert versucht, Institutionen auszuhöhlen – seien es die etablierten Medien oder die Wissenschaft – und zwar mit einer Intensität und Raffinesse, die neu ist. Und so manche*r Leser*in glaubt das dann wirklich. Es wird auch mit Protesten verstärkt versucht, in die Öffentlichkeit hineinzuwirken. Wissenschaftler*innen und Institutionen werden dadurch unter Druck gesetzt, bis hin zu Gewaltandrohungen. Diese Aggressivität ist neu.
FORUM: Aber was ist dabei der Nutzen? Geht es um Deutungshoheit?
Kohring: Es geht um Deutungshoheit. Es geht aber auch darum, sich nicht seine politische Agenda kaputt machen zu lassen. Das gab es auch schon vorher: Die Politik bedient sich der Wissenschaft oft auch nur dann, wenn es ihr passt. Und wenn es ihr nicht passt oder zu teuer wird, dann werden Erkenntnisse gern links liegen gelassen. Mittlerweile hat das aber durch populistische Parteien eine ganz andere Dimension erreicht. Das beste Beispiel ist natürlich Donald Trump und sein Umgang mit dem Klimawandel. Die wissenschaftlichen Ergebnisse, die nicht zu seiner politischen Strategie passen, werden nicht ernst genommen und aktiv delegitimiert. Denn wenn Trump den Klimawandel für beendet oder nicht existent erklärt, kann er die Ölbohrlizenzen wieder frei vergeben und weitere Naturschutzgebiete verwüsten.
FORUM: Kann man Menschen, die Verschwörungsmythen glauben, überhaupt noch erreichen?
Kohring: Es gibt dazu keine verlässlichen Zahlen, aber es wird einen harten Kern von circa zehn Prozent geben, den man in dieser Hinsicht als verloren zählen muss. Wichtig ist, die Menschen zu erreichen, die noch am Zweifeln sind. Es ist absolut legitim, zu zweifeln und zu kritisieren, denn auch die Wissenschaft hat beileibe nicht immer eine weiße Weste. Dass Wissenschaft auch unmoralischen Zwecken dienen und Schäden anrichten kann, wird in allzu blauäugigen Selbstdarstellungen gern übersehen. Und deshalb gibt es durchaus berechtigte Kritik, auch harte Kritik, die die Wissenschaft akzeptieren muss und mit der sie weniger wehleidig umgehen sollte. Aber wir müssen verhindern, dass sich der Kreis der prinzipiellen Wissenschaftsgegner*innen ausweitet. Es ist ja nicht nur so, dass diese Menschen die Wissenschaft ablehnen, sie lehnen auch die etablierten Nachrichtenmedien und die etablierte Politik ab. Da finden sich sehr starke Korrelationen. Autoritäre Regime gehen im Übrigen immer zuerst auf Kultur, Journalismus und Wissenschaft los, weil sie Aussagen und Deutungen liefern, die das selbst propagierte Weltbild noch gefährden können.
FORUM: Ein weiteres aktuelles Thema ist der Umgang der Wissenschaft mit sozialen Medien: Seit der Übernahme von X durch Elon Musk steht die Plattform zunehmend in der Kritik, immer mehr Forschungseinrichtungen deaktivieren ihre Accounts. Wie stehen Sie dazu?
Kohring: Das ist keine einfache Entscheidung. Einerseits sollte man den Personen, die dort Falschinformationen verbreiten, Gegenrede bieten; vielleicht würde man manche sogar noch erreichen. Andererseits ist das nebenbei gar nicht zu stemmen und absolut zeitraubend. Und die Radikalisierten erreicht man mit Argumenten sowieso nicht mehr.
FORUM: Was ist Ihrer Meinung nach das Ziel der Wissenschaftsgegner*innen – die Wissenschaft abzuschaffen?
Kohring: Nein, diese Akteur*innen möchten nicht „die“ Wissenschaft abschaffen. Sie untergraben vielmehr ganz bewusst die Glaubwürdigkeit einzelner wissenschaftlicher Disziplinen, um ihre Agenda voranzubringen. Es geht ihnen dabei aber nicht darum, die Forschung an sich abzuschaffen, sondern die vermeintlich korrumpierten Wissenschaftler*innen durch Expert*innen zu ersetzen, die ihrer Meinung nach bisher nicht zu Wort gekommen sind – solche, die ihr Weltbild bestätigen. Dieselbe Argumentation findet man auch in den Angriffen auf die etablierten Nachrichtenmedien.
FORUM: Haben Sie konkrete Vorschläge, was Universitäten gegen diese Entwicklungen unternehmen können?
Kohring: Das Ganze ist ein Vertrauensproblem. Entscheidend ist, dass ein Diskurs in der Wissenschaft und auch in der Politik stattfindet, den die Gesellschaft mitbekommt. Die Bürger*innen sollten beispielsweise wissen, woher die Gelder für wissenschaftliche Projekte stammen. Zudem sollte in der Wissenschaftskommunikation ein geringerer Fokus auf die Selbstdarstellung gelegt und mehr Raum für Selbstkritik eingeräumt werden. Das fällt natürlich schwer in einer auf Konkurrenz getrimmten Wissenschaftslandschaft. Mit einer solchen Offenheit kann man den Skeptiker*innen selbstbewusst gegenübertreten. Man muss den Menschen aber auch in Erinnerung rufen: Die Gesellschaft ist durch und durch verwissenschaftlicht. Hinter allem, was wir machen und denken und hinter den Gegenständen, die wir alltäglich benutzen – hinter alldem steckt Wissenschaft.
Interview: Fabio Kratzmaier / April 2025