Nächstes Projekt? Meinungsfreiheit!
Seit 2019 ist Prof. Dr. Richard Traunmüller Inhaber des Lehrstuhls Politikwissenschaft, Empirische Demokratieforschung an der Fakultät für Sozialwissenschaften. Im Fokus seiner Forschung stehen die soziostrukturellen und psychokulturellen Voraussetzungen der Demokratie, derzeit beschäftigt er sich beispielsweise mit der Politik der freien Meinungsäußerung und Zensur. Doch wie wird man eigentlich Demokratieforscher? Wir haben Richard Traunmüller in seinem Büro in A5 besucht.

Mexiko, Korea, Saudi-Arabien, Singapur und Thailand! Auf die vermeintlich so belanglose Einstiegsfrage, wo er denn eigentlich aufgewachsen sei, gibt Prof. Dr. Richard Traunmüller eine herrlich überraschende Antwort. Der gebürtige Österreicher muss beim Aufzählen dieser illustren Liste selbst ein wenig grinsen und schiebt die Erklärung rasch hinterher: Als Sohn eines Ingenieurs sei die Familie alle paar Jahre der Arbeit des Vaters hinterhergezogen und so habe er seine Kindheit auf allen erdenklichen Kontinenten dieser Welt verbracht, nur eben gerade nicht in dem beschaulichen Kleinstaat, der in seinem Lebenslauf als Geburtsort vermerkt ist.
Entspannt zurückgelehnt sitzt der 44-Jährige an diesem sonnigen Morgen im Mai in seinem Büro im dritten Stock des Unigebäudes A5 und lässt den Blick aus dem Fenster über die Hafendächer schweifen. Gerade noch saß er im Zug aus Wuppertal kommend, wo bei einer Konferenz zum Thema „Wissenschaftsfreiheit“ heftig debattiert wurde. Nun aber lässt er sich ganz darauf ein, hier einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Wie wird man Demokratieforscher? Wo kommt er her, was treibt ihn an? Nachdenklich kneift er die Augen etwas zu: „Sie wissen es ja selbst: Diese Erzählungen über sich selbst, die konstruiert man natürlich erst im Nachhinein. Aber jetzt in der Rückschau glaube ich tatsächlich, dass meine biografischen Erfahrungen es begünstigt haben, beruflich in diese Richtung zu gehen.“
Und dann erzählt er von Erlebnissen, die ihm aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben sind: von seinem geliebten Fußballmagazin Kicker, das die Familie zwar importieren konnte, in dem aber sowohl die Bierwerbung als auch die Beine der Fußballer geschwärzt waren. Von der Religionspolizei, die die Silvesterparty der Eltern gecrasht hat. Und von Kinobesuchen, bei denen alle vor Filmbeginn aufstehen und die Hymne für den König singen mussten, weil sonst Stockschläge drohten. „Gerade wenn man an Saudi-Arabien, Thailand oder Singapur denkt: Das sind natürlich keine Demokratien wie wir sie kennen – und das bekommt man als Kind schon mit, dass das in anderen Ländern und anderen Kulturen anders laufen kann. Deshalb ist es vielleicht auch kein Wunder, dass ich mich heute hauptberuflich mit derlei Fragen beschäftige“, fasst Traunmüller zusammen.

Der Weg zum Demokratieforscher
Sobald er seine Martura der Schweizer Schule in Bangkok in der Tasche hatte, gab es für ihn nur ein Ziel: Berlin. Und die Wahl der Studienfächer Soziologie und Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität? Lässig zuckt Traunmüller mit den Schultern: „Rein nach Neigung war das. Die Mutter hat mich ermutigt, die Lehrkräfte hingegen haben mir eher abgeraten und wollten mich zu etwas Vernünftigem wie Informatik oder Wirtschaft überreden.“ Im zweiten Semester habe er mit absoluter Sicherheit gewusst: „Ich will Professor werden!“
Zunächst als Hilfskraft am Lehrstuhl für empirische Sozialforschung, dann recht früh im Studium schon als Tutor festigte sich dieser Wunsch stetig und wurde zum erklärten Ziel. Dinge selbst herausfinden, die Forschung, das wissenschaftliche Arbeiten, andere unterrichten – der Politologe gerät ins Schwärmen, als er die Gründe für seine frühe Entscheidung aufzählt. Nicht unschuldig daran wohl auch: Professor Herfried Münkler. Bei dem heute emeritierten Politikwissenschaftler hörte der frischgebackene Student an der Humboldt-Universität zu Berlin seine ersten Vorlesungen zur politischen Theorie und war schwer beeindruckt. „Für mich verkörperte Professor Münkler einfach den Prototyp eines deutschen Professors. Dieser Lebensstil, der hat mir immer getaugt, diese gewisse Freiheit, morgens ins Büro zu kommen und zu machen, was man will. So jedenfalls habe ich das damals wahrgenommen“, erinnert sich Traunmüller und muss herzhaft loslachen.
Denn dass der Weg hin zu dieser vermeintlichen Freiheit ein mitunter harter und vor allem langer ist, das weiß er inzwischen. Zur Promotion ging es nach Konstanz, danach folgten Stationen in Bern, an der University of Essex, dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), der Goethe-Universität Frankfurt und der Graduate School of Economic and Social Sciences (GESS) in Mannheim. Ein stabiles Wohnumfeld? Hobbys? Eher schwierig, wenn man sich von Paper zu Paper ackert.
Ende September 2019 kam dann der Ruf aus Mannheim – die finale Zusage landete auf Traunmüllers Handy just in dem Moment, als er nach der Geburt seines Sohnes aus dem Krankenhaus trat. „Mannheim war schon immer der Ort, wo Forschung so gemacht wird, wie ich sie verstehe und machen will. Das war für mich ein absolut perfekter Augenblick in meinem Leben!“, erinnert sich Traunmüller zurück.
Lieblingsgegenstand: Demokratie
Was ist das gesellschaftliche Fundament, das eine Demokratie trägt? Welche Voraussetzungen müssen Bürger*innen für eine Demokratie mitbringen? Wie müssen sie sich verhalten, welche Einstellungen müssen sie haben? Rein aus biografischen Gründen habe er sich immer mehr für die Kultur der Demokratie und weniger für die Struktur derselbigen wie etwa das Wahlsystem interessiert, so Traunmüller.
Mit klarem Forschungsfokus und klarer Methodik nach Mannheimer Tradition – empirisch analytisch – untersucht er die soziostrukturellen und psychokulturellen Voraussetzungen der Demokratie. „Wenn man etwas darüber herausfinden und lernen will, was Menschen eigentlich denken und tun – dann gibt es nach wie vor den einen Königsweg: Umfragen. Ich forsche auf der Grundlage von quantitativen Daten, vor allem Umfragedaten“, erläutert der Politologe, der zudem die wissenschaftliche Leitung des German Internet Panel (GIP), einer Mannheimer Befragungsinfrastruktur, innehat. Alle zwei Monate schickt das Team des GIP seine Befragungswellen los und kann somit zügig auf neue Entwicklungen reagieren – ein echter Luxus sei das, erklärt Traunmüller: „Das wirklich Schöne an meinem Fach ist ja, dass es keine reine Elfenbeinturmwissenschaft ist, sondern immer diesen zeitgeistlichen Bezug hat und der kann sich tagesaktuell ändern.“
Meinungsfreiheit nüchtern betrachtet
Gerade sein aktueller Forschungsgegenstand, die Meinungsfreiheit, sei dafür ein perfektes Beispiel. Mit der ersten Amtszeit Donald Trumps im Jahre 2016 wurde Traunmüller auf das Thema aufmerksam, mit Erstaunen stellte er eine Forschungslücke in der empirischen Demokratieforschung fest und beschloss, diese zu füllen. Seither ist weltpolitisch einiges passiert, der Forschungsgegenstand ist mittlerweile auch in Deutschland ein politisch hoch aufgeladenes, spürbar brisantes, emotionalisiertes Thema.
„Auch wenn es sich momentan scheinbar nicht schickt, sich um die Meinungsfreiheit in Deutschland zu sorgen, weil es rechte Narrative bedient, bin ich sehr dafür, dieses Thema anzufassen, und zwar nicht aus Provokationslust, sondern im Dienste der Aufklärung mit aller gebotenen Sachlichkeit“, macht Traunmüller deutlich. Seit fünf Jahren seien die vom GIP ermittelten Umfragewerte stabil: Je ein Viertel der vom GIP Befragten habe das Gefühl, sie könnten nicht frei sprechen; nicht sagen, was sie wirklich denken.
Die Gretchenfrage, der Traunmüller nachgehen möchte, lautet: Ist das nur Einbildung oder sind die Bürger*innen da an etwas dran? Denn ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie, macht Traunmüller deutlich: „Meinungsfreiheit hat eine ganz wichtige informative Funktion für die Demokratie: Sie ist im Kern darauf ausgerichtet, dass sich die Bürger*innen selbst regieren, eben indem sie sich darüber austauschen, was sie wollen und was sie nicht wollen. Gleichzeitig hat die Meinungsfreiheit auch eine legitimierende Funktion: Die Bürger*innen können das Ergebnis eines politischen Prozesses dann anerkennen, wenn sie die Chance hatten, da mitzusprechen.“ Ein Demokratie-Fan, das sei er ganz unbedingt, bestätigt Traunmüller. Er sei bloß kein Fan davon, sie zu stark zu emotionalisieren. Er betrachte die Demokratie lieber nüchtern als einen Mechanismus, der uns Menschen mit verschiedenen Meinungen hilft, zu kollektiven Entscheidungen zu finden – und darin sei sie nicht perfekt, aber doch recht gut.
In seinen Vorlesungen lebt Traunmüller die demokratische Debattenkultur mit Leib und Seele vor: Unterschiedliche Meinungen sind hier willkommen, hier darf und soll diskutiert werden – bei seinen Studierenden kommt das gut an, bescheinigen ihm auch die Evaluationen. Mit Mitte 40 hat Richard Traunmüller sein Ziel erreicht: Er ist Universitätsprofessor mit eigenem Lehrstuhl. Fühlt sich das so an, wie er es sich als Student ausgemalt hat? „Ich darf junge Menschen dazu befähigen, ihren Kopf zu benutzen, das ist schon richtig gut“, strahlt der Demokratieforscher zufrieden und fügt an: „Wenn eine Vorlesung gut gelaufen ist, fühle ich mich danach wie nach einer Stunde Yoga, da bin ich ganz und gar bei mir.“
Text: Jule Leger / August 2025
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