Studie: Weibliche Bundestags­abgeordnete nehmen frauen­spezifische Themen ernster als männliche

Frauen im Bundestag sprechen öfter und emotionaler als Männer über Themen, die Frauen besonders betreffen – weil sie sich mehr dafür interessieren als ihre männlichen Kollegen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie von Oliver Rittmann, Doktorand am Lehr­stuhl für Politik­wissenschaft, Quantitative Methoden in den Sozial­wissenschaften der Universität Mannheim und an der Graduate School of Economic and Social Sciences (GESS).

Für seine Studie hat Rittmann über 33.000 Reden analysiert, die deutsche Politikerinnen und Politiker zwischen Februar 2011 und Juli 2020 im Parlament gehalten haben. Mithilfe von Computer­programmen hat er die Audioaufzeichnungen der Reden daraufhin untersucht, mit welcher Emotionalität die Abgeordneten ihre jeweiligen Themen vorgetragen haben.

Der ausschlaggebende Indikator ist dabei die Stimmlage, da diese etwas über den emotionalen Zustand eines Menschen verrät: Wenn eine Person emotional erregt ist, stehen ihre Stimmbänder unter stärkerer Spannung und die Stimmlage erhöht sich. „Hält eine Politikerin eine Rede zu einem bestimmten Thema, sehen wir also an ihrer Stimmlage, wie wichtig das Thema für sie persönlich ist. Für uns Forschende ist diese Er­kenntnis wertvoll, denn der Klang der Stimme ist schwerer zu kontrollieren als der Inhalt einer Rede“, erläutert Rittmann die theoretische Grundlage.

Bei den untersuchten Bundestagsreden hat der Politik­wissenschaft­ler die durchschnittliche Stimmlage während einer Rede berechnet. „Da Frauen im Allgemeinen höhere Stimmen als Männer haben, habe ich eine Rede immer nur mit allen anderen Reden derselben Person verglichen.“ Der Vergleich ergibt, dass Frauen im Bundestag öfter und auch gefühlsbetonter als Männer über Themen sprechen, die für Frauen besonders relevant sind. „Das sind zum Beispiel Themen wie Mutterschutz oder Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen“, so Rittmann. Die Ergebnisse deuten für ihn darauf hin, dass Politikerinnen sich mit einer größeren Ernsthaftigkeit mit solchen Themen auseinandersetzen als ihre männlichen Kollegen.

Für den Mannheimer Doktoranden ist dieses Resultat „erwartbar, aber auch überraschend“: Eine frühere Studie, die sich mit Reden im Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten beschäftigt und Rittmann als Vorlage gedient hat, ist zum gleichen Ergebnis gekommen. „Dass meine Studie das mit Daten des Bundestages bestätigt, ist super“, erläutert er. Andererseits hat er aufgrund der hohen Parteidisziplin, die im Bundestag herrscht, nicht unbedingt mit diesem Ergebnis gerechnet: „Ich hätte nicht gedacht, dass persönliche Präferenzen der Abgeordneten eine große Rolle im Parlament spielen.“

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frauen in den allermeisten Parlamenten unterrepräsentiert sind, ist das Studien­ergebnis relevant – denn es zeigt, dass es sich lohnt, etwas zu ändern. „Wenn mehr Frauen in die Parlamente gewählt werden, erhöht dies den Anteil der Abgeordneten, die sich aus eigener Motivation heraus mit frauen­spezifischen Themen beschäftigen“, folgert Rittmann, der sich in künftigen Studien auch mit dem Vergleich der Körpersprache von männlichen und weiblichen Abgeordneten beschäftigen möchte.

Die gesamte Studie finden Sie im British Journal of Political Science.

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