Eine Figur aus dem Antikensaal. Über ihrem Mund ist Klebeband per Fotomontage eingefügt. Daneben steht in schwarzer Schrift: In aller Munde. Demokratieforschung an der Uni Mannheim.

Rechts­ruck im Bücherregal

Vom Vorlesen bis zur Vorlesung: Bildungs­angebote neurechter Bewegungen setzen bereits im frühen Kindesalter an und hören auch bei den Erwachsenen nicht auf – mit dem Ziel, die eigene Ideologie salon­fähig zu machen. Die Mannheimer Professor*innen Cornelia Ruhe und Thomas Wortmann unter­suchen in ihrem Forschungs­projekt das System dieser Angebote, die für sie vor allem eines sind: eine massive Gefahr für unsere Demokratie.

Schul­unter­richt in naher Zukunft: Im Fach Deutsch werden nur noch Werke gelesen, die ein traditionelles Familienbild vermitteln. Biologiebücher verurteilen die sogenannte „Genderideologie“ und betonen vermeintliche biologische Unter­schiede zwischen Völkern. Im Geschichts­unter­richt relativiert die Lehr­erin die Verbrechen des Nationalsozialismus und legitimiert den Kolonialismus – zumindest, wenn es nach den Vorstellungen der Neuen Rechten ginge.

Was in Deutschland spätestens 1972 mit der Gründung der „Aktion Neue Rechte“ und in Frankreich bereits 1968 mit der Gründung des GRECE (Groupement de recherche et d'études pour la civilisation européenne) begann, ist heute ein weit verzweigtes Netzwerk von Akteur*innen, die strategisch Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und die politische Kultur nehmen möchten. Unter dem Begriff „Neue Rechte“ werden sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen und Organisationen – wie Jürgen Elsässer, Gründer des rechts­extremen Magazins Compact, oder die Identitäre Bewegung in Deutschland und Frankreich – zusammengefasst, die eine rechts­extreme Ideologie vertreten und darauf abzielen, demokratische Strukturen von innen heraus zu unter­wandern. Eine ihrer Methoden: alternative Bildungs­angebote für alle Altersklassen schaffen.

Doch wie sieht das Bildungs­engagement neurechter Bewegungen konkret aus – und wie weit sind ihre Pläne bereits fortgeschritten? Mit dieser Frage werden sich Prof. Dr. Cornelia Ruhe, Lehr­stuhl­inhaberin für Romanische Literatur- und Medien­wissenschaft, und Prof. Dr. Thomas Wortmann, Lehr­stuhl­inhaber für Neuere deutsche Literatur und qualitative Medienanalyse, ab Herbst 2025 beschäftigen. In den kommenden zweieinhalb Jahren möchten sie die Bildungs­strategien der Neuen Rechten in Deutschland sowie ihres französischen Pendants, der Nouvelle Droite, mitsamt ihren Verflechtungen unter­suchen. Die VolkswagenStiftung fördert das Mannheimer Forschungs­projekt mit insgesamt rund 300.000 Euro.

Einfluss bis ins Kinderzimmer

„Wir haben uns für diese beiden Länder entschieden, da die Neue Rechte und die Nouvelle Droite in direktem Zusammenhang stehen“, erklärt Ruhe, die sich als Romanistin bereits intensiv mit der französischen Gegenwartskultur auseinandergesetzt hat, und begründet: „Viele Protagonist*innen, etwa Götz Kubitschek aus Deutschland und Alain de Benoist aus Frankreich, sind eng miteinander vernetzt.“ Dazu seien die Entwicklungen in unserem Nachbarland schon weiter fortgeschritten: „In Frankreich sind rechte Strömungen bereits einflussreicher als bei uns. Der Länder­vergleich ist also auch insofern interessant, als man dort beobachten kann, was uns hierzulande vielleicht noch erwartet.“

Auf das Thema aufmerksam geworden sind Ruhe und Wortmann durch ihre Arbeit als Literatur­wissenschaft­ler*innen: „Wir beschäftigen uns schon länger mit der Frage, wie sich die Neue Rechte im Bereich Literatur engagiert. Dadurch sind wir auf ihre Aktivitäten im Bildungs­bereich gestoßen, die weit mehr sind als das Bestreben, über die Texte zu bestimmen, die gelesen werden sollen“, erzählt Wortmann.

Denn die rund einjährige Vorrecherche der beiden Forschenden ergab: Neurechte Bestrebungen versuchen gezielt, ein alternatives Bildungs­system aufzubauen, das systematisch ihre Ideologie vermittelt – vom Kindergarten über die Schulbildung bis hin zu universitären Formaten. „Die Akteur*innen verfassen beispielsweise alternative Schulbücher, organisieren Sommerakademien und versuchen dabei stets, Schulen und Hochschulen als problematische Bildungs­institutionen zu delegitimieren“, zählt Wortmann auf, und Ruhe ergänzt: „Ihre Ansätze beginnen sogar schon beim Vorlesen im Kinderzimmer: Sie veröffentlichen Buchempfehlungen für Eltern, die – wenig überraschend – das traditionelle Vater-Mutter-Kind-Bild vermitteln und alle alternativen Familien­modelle ablehnen.“

Das Ziel dieses Bildungs­systems? „Rechte Protagonist*innen von der Krippe an heranziehen“, antwortet die Romanistin, „denn so entwickeln sie das gewünschte Weltbild und können es im Erwachsenenalter in entsprechenden politischen Positionen vertreten“. Während dies in Deutschland aufgrund der Schulpflicht (noch) kaum umsetzbar sei, gebe es in Frankreich deutlich mehr Spielraum – etwa durch das dort eingeschränkt mögliche Homeschooling oder freie Privatschulen, die in der Wahl ihrer Lehr­materialien und -methoden weitgehend unabhängig sind, so Ruhe weiter.

Interesse aus der Politik

Dieses System von Grund auf zu verstehen, die vielfältigen Strategien der Neuen Rechten und der Nouvelle Droite nachzuvollziehen und dadurch einen wichtigen gesellschaft­lichen Beitrag zu leisten – das erhoffen sich die beiden Forschenden von den kommenden Jahren. „Unser Projekt ist darauf angelegt, mit Schulen, Museen, Bibliotheken, Gedenkstätten und weiteren Einrichtungen zusammenzuarbeiten“, so Wortmann. Es gebe auch politische Akteur*innen, die Interesse an den Forschungs­ergebnissen angemeldet hätten. „Zudem sollte man Lehr­amts­studierende während ihrer Ausbildung für das Thema sensibilisieren, damit sie entsprechende Tendenzen bei ihren Schüler*innen frühzeitig erkennen“, merkt Ruhe an.

Die große Gefahr dahinter: „Es geht nicht um einen abrupten Umsturz, sondern es ist ein schleichender Prozess“, betont Wortmann. „Und dadurch ist dieses Engagement für Außen­stehende kaum wahrnehmbar: Die Neue Rechte versucht, den Staat von innen zu destabilisieren, indem sie Misstrauen gegen demokratische Institutionen schürt und weitere Multiplikator*innen für ihre Ideologie gewinnt.“ Umso wichtiger seien Forschungs­projekte, die dieses System öffentlich sichtbar machen – bevor es sich etabliert.

Text: Jessica Scholich / August 2025