Drei Fragen an … Juristin Prof. Dr. Svenja Behrendt
Seit Februar 2024 ist Svenja Behrendt Inhaberin der Juniorprofessur für Öffentliches Recht. Thematisch befasst sie sich insbesondere mit Demokratie, Autonomie und Selbstbestimmung sowie den durch Digitalisierung, Datafizierung, Künstliche Intelligenz und den Klimawandel aufgeworfenen Grundfragen des Rechts.

FORUM: Sie haben kürzlich einen Impulsvortrag mit dem Titel „Demokratie und Grundrechte – ein untrennbares Duo“ gehalten. Ist dem so?
Prof. Dr. Svenja Behrendt: Ja, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Demokratie braucht Diskurs“. Der Impulsvortrag geht auf ein größeres, noch laufendes Projekt zur Demokratietheorie zurück. In dem Projekt geht es um die Verbindung zwischen Demokratie und Grundrechten. Dass es eine Verbindung gibt, wird im Grunde von niemandem geleugnet – man ist aber sehr unterschiedlicher Ansicht bei der Frage, was das bedeutet und wie diese Verbindung sich genau darstellt. Bereits der Soziologe Jürgen Habermas hat für eine sehr enge Verbindung argumentiert: Er tritt für die „Gleichursprünglichkeit“ von Demokratie und Grundrechten ein. Mein Ansatz fußt auf anderen Grundlagen und deshalb unterscheidet sich das Konzept erheblich von seinem, aber die Kernaussage in Bezug auf das Verhältnis ist sehr ähnlich. Im Grunde geht es bei mir um die These, dass sowohl Demokratie als auch Grund- und Menschenrechte auf dem Gedanken der Gleichrangigkeit beruhen – insoweit baut das Projekt auf meiner Forschung zu Grund- und Menschenrechten auf.
FORUM: Wenn Sie als Professorin des Öffentlichen Rechts auf das System Demokratie schauen: Wo liegen die Schwächen dieser Staatsform?
Behrendt: Eine der größten Schwächen der Demokratie ist, dass sie notwendig instabil ist. Sie lebt von dieser Instabilität. Es geht stets um Entscheidungen. Es geht um das Interagieren der unterschiedlichsten staatlichen und nicht-staatlichen Akteur*innen untereinander. Es geht um die Art und Weise, wie Funktionsträger*innen ihre Aufgaben wahrnehmen und Entscheidungen treffen.
Das kann man sich beispielsweise anhand des Rechts vor Augen führen. Es kann die Stabilität nicht garantieren, denn auch das Recht ist zum einen ein durchaus dynamisches Instrument und kann insofern beispielsweise auch zur Erosion von Grund- und Menschenrechten und der Demokratie beitragen und verwendet werden. Zum anderen ist das Recht wirkungslos, wenn sich die staatlichen Akteur*innen einfach darüber hinwegsetzen. Rechtsbrüche sind nicht unbedingt ein Problem für die Stabilität der Demokratie, sofern es sich nur um vereinzelte Brüche handelt und sie sich nicht strukturell verfestigen. Wenn politische Akteur*innen sich aber beispielsweise über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzen, dann ist das zunächst einmal hochproblematisch. Es kann aber auch eine Gerichtsentscheidung sein, die das Problem darstellt – insbesondere dann, wenn sie auf der Basis des grundrechtstheoretischen Gleichrangigkeitsverhältnisses grund- und menschenrechtlich eben nicht gut austariert und begründbar ist und Asymmetrien verschärft. Dann kommt es darauf an, ob die Mechanismen zur Korrektur funktionieren.
Eine ganz anders geartete Schwäche hängt mit dem Umstand zusammen, dass jede Demokratie auf Wahlentscheidungen der einzelnen Mitglieder des Souveräns, also des Volkes, angewiesen ist. Menschliches Entscheidungsverhalten ist manipulierbar. Das wohl größte Problem, was wir momentan in diesem Bereich haben, ist Social Media und die dadurch mögliche strategische Ausnutzung kognitiver Verzerrungen. Das heißt: Die Art und Weise, wie Menschen „funktionieren“, kann gegen Menschen verwendet werden – und die Digitalisierung sowie die technischen und informationstechnischen Entwicklungen im Bereich von KI schaffen bislang nicht gekannte Möglichkeiten einer solchen Manipulation. Social Media verstärkt das Ganze, weil es sehr gute Rahmenbedingungen für zahlreiche kognitive Verzerrungen schafft. Ein Beispiel ist die Neigung, sich an der Mehrheit zu orientieren: „Was von vielen geliked wird, muss gut beziehungsweise richtig sein.“
FORUM: Und worin liegen die Stärken?
Behrendt: Demokratie ist mittel- und langfristig gesehen die Regierungsform, welche am besten vor Grund- und Menschenrechtsverletzungen schützt – insbesondere vor solchen, die sich strukturell manifestieren, und solchen, die mit gravierenden Verletzungen des Anspruchs auf Achtung als Gleichrangiger einhergehen. Dass autoritäre Systeme dazu neigen, diese Rechte zu verletzen, dürfte recht offensichtlich sein. Momentan ist das beispielsweise in den USA unter Donald Trump an dessen Ausweisungspraxis, der Misogynie als politischer Marschroute, der Ablehnung und aktiven Bekämpfung der LGBTQ-Community sowie von Diversität und Pluralismus allgemein zu sehen. Die USA sind momentan vielleicht noch keine vollumfänglich stabile Autokratie, aber im Grunde stellt sich auch nur noch die Frage der Stabilisierung. Eine Gesellschaft hat nicht erst dann ein Problem, wenn das Label „Autokratie“ mehr oder weniger unstreitig verwendet werden kann. Es beginnt viel früher, und zwar immer dann, wenn Demokratie – verstanden als ein (hoch)komplexer gesellschaftlicher Zustand mit gelebten „Checks and Balances“ auf der Basis grundrechtlicher Gleichrangigkeit – erodiert.
Interview: Jule Leger / August 2025