Wofür steht meine Partei?
Zwölf Demokratien hat Prof. Dr. Marc Debus in Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen Zeynep Somer-Topcu (University of Texas at Austin) und Margit Tavits (Washington University in St. Louis) über einen Zeitraum von 14 Jahren untersucht. Pro Land wurden in den vier heißen Wahlkampfwochen vor einer Wahl je vier klassische Medien analysiert. Ende 2024 konnte der Mannheimer Politikwissenschaftler auf diese Weise einen riesigen Datenschatz vorlegen, der mittlerweile auf der Website des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) öffentlich zugänglich ist.

FORUM: Herr Professor Debus, der Titel Ihres kürzlich abgeschlossenen Projekts lässt sich mit „Wo befindet sich meine Partei?“ übersetzen. Was wollten Sie herausfinden?
Prof. Dr. Marc Debus: Unser Ziel war es zu untersuchen, welche Effekte die Signale haben, die Parteien in den letzten vier Wochen vor Wahlen in den klassischen Medien aussenden – im Hinblick auf den Parteienwettbewerb und die Wahrnehmung unter den Wählenden. Denn wenn es eine Diskrepanz gibt zwischen den von einer Partei eingenommenen Positionen und wie diese Positionen von den Wählenden wahrgenommen werden, dann hat dies massive Auswirkungen auf die Qualität der Repräsentation in modernen Demokratien.
FORUM: Haben Sie ein Beispiel für eine solche Diskrepanz?
Debus: Denken Sie an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW): eine neue Partei, von der die Wählenden noch keine allzu feste Meinung haben und noch nicht genau wissen, wofür sie steht. Hier beziehen sich Wählende durchaus auf die Statements von Partei-Vertreter*innen in den Medien. Sind diese Statements unklar, beispielsweise im Hinblick auf die Klimapolitik, ist die Gefahr einer Diskrepanz tatsächlich sehr hoch. Wenn Sie als Wähler*in ein großes Interesse an klimapolitischen Fragen haben und das BSW aufgrund schwammiger Aussagen in den Medien falsch interpretieren, dann könnten Sie eine falsche Wahlentscheidung treffen für eine Partei, die Ihre Interessen gar nicht vertritt.
FORUM: Und warum ist eine falsche Wahlentscheidung problematisch für eine Demokratie?
Debus: Aus der Forschung wissen wir: Parteien setzen tatsächlich zu einem großen Teil das um, was sie im Wahlkampf versprochen haben. Wenn beispielsweise eher linke Parteien die Regierung stellen, dann sind Steuersätze tendenziell höher, weil wohlfahrtsstaatliche Leistungen eher höher ausfallen. Dagegen hat man bei Parteien rechts der Mitte eher niedrigere Steuerquoten, aber eben auch ein eher niedrigeres Ausmaß an wohlfahrtsstaatlichen Leistungen.
Wenn sich die Wählenden also aufgrund der Informationen im Wahlkampf für die Partei entscheiden, die ihnen inhaltlich am nächsten steht, können sie davon ausgehen, dass diese Partei auch so handelt, wie sie es erwarten – sofern sie ins Parlament gewählt wird und die Regierung bildet. Das bedeutet: Die Ergebnisse der Politik kommen den eigenen Wünschen nahe. Eine Diskrepanz hingegen bewirkt das Gegenteil: Schätzen die Wählenden die Position einer Partei falsch ein und treffen deshalb eine Wahlentscheidung, die nicht mit den eigenen Standpunkten übereinstimmt, werden sie unzufrieden mit den Ergebnissen der Politik sein. Dann sinkt in der Regel die allgemeine Zufriedenheit mit dem demokratischen System und es könnte in eine Krise geraten.

FORUM: Sie haben sich gezielt die Kommunikation in den letzten vier Wochen vor den Wahlen angeschaut…
Debus: Genau – und ebendiese heiße Wahlkampfphase wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wichtiger. Denn immer mehr Wählende entscheiden sich recht spät im Wahlkampf für eine Partei. In den 1960er Jahren lag der Anteil der Menschen, die sich in den letzten vier Wochen vor der Wahl entschieden haben, noch unter zehn Prozent. Heute hingegen ist es mehr als die Hälfte der Wählenden. Diese sehr ungebundene, flexible Wählerschaft ist eine echte Herausforderung für die Parteien, denn sie muss in jedem Wahlkampf neu überzeugt werden. Dementsprechend spielen die Botschaften, die in den Wahlkämpfen gesendet werden, und auch die Wahlkämpfe insgesamt eine größere Rolle.
FORUM: Und was sagen Ihre Ergebnisse aus: Wissen wir in Deutschland, wofür unsere Parteien stehen?
Debus: Ja, unsere Ergebnisse zeigen: In Deutschland wissen die Wählenden gut darüber Bescheid, wo sich die Parteien befinden. Es gibt ein paar Abweichungen. Die Partei Die Linke war beispielsweise in den 2009er und 2013er Wahlkämpfen etwas unklar. Die anderen Parteien aber erlangten auf unserer Skala nicht selten den Spitzenwert von 1, was eine komplette Konsistenz in den Botschaften bedeutet. Für die Demokratie hierzulande sollten das gute Neuigkeiten sein. Allerdings bleibt für uns in der Zukunft noch zu untersuchen, wie genau die Wechselwirkung aussieht: Wie stark hängt die Demokratie-Zufriedenheit der Wählenden tatsächlich mit dem Wahlergebnis und den Resultaten des politischen Prozesses, der ja immer einen Kompromiss widerspiegelt und externe Faktoren wie etwa internationale Krisen berücksichtigen muss, zusammen?
Interview: Jule Leger / August 2025
Die Forscher*innen wurden mit dem Lijphart/