Nachrichten mit Nebenwirkung
Wie rassistisch sind unsere Medien – und welchen Einfluss hat das auf die Bevölkerung? Mit dieser Frage haben sich Forschende des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim beschäftigt. Im Gespräch erklären Dr. Philipp Müller und Dr. Rainer Freudenthaler, weshalb sie das Ergebnis ihrer Studie überrascht hat und welche Tipps sie Journalist*innen geben.

Ob am Frühstückstisch bei einer heißen Tasse Kaffee, in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit oder nach Feierabend auf der Couch – den ganzen Tag lang werden wir auf verschiedenen Kanälen mit Nachrichten konfrontiert. Da ist es wenig verwunderlich, dass die Medien nicht nur beeinflussen, über welche Themen wir sprechen, sondern auch, wie wir über sie denken. Doch was, wenn diese Berichterstattung nicht neutral ist?
„Impliziter und expliziter Rassismus in Nachrichtenmedien und sozialen Medien – Ausmaß und Wirkung“ heißt das Projekt, mit dem sich die Medien- und Kommunikationswissenschaftler Dr. Philipp Müller und Dr. Rainer Freudenthaler in den vergangenen drei Jahren beschäftigt haben. Gemeinsam mit ihren Instituts-Kolleg*innen Prof. Dr. Hartmut Wessler und Katharina Ludwig sowie Dr. Chung-Hong Chan vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften untersuchten sie, welche Stigmatisierungen von migrantischen und ethnisch-gelesenen Gruppen sich in Nachrichtenmedien finden lassen und wie sich das auf rassistische Denkmuster der Bevölkerung auswirkt.
Neue Analysemethoden dank KI
Im Fokus ihrer Analyse standen zwei Emotionen: Furcht und Bewunderung. „Beide spielen in der Berichterstattung über migrantische Gruppen eine große Rolle“, erklärt Freudenthaler. „Bei Texten zum Thema Sicherheit beispielsweise kommen oft Begriffe vor, die mit Furcht assoziiert werden. Wird positiv über Migrant*innen berichtet, handelt es sich zum Beispiel um heroische Darstellungen, die Bewunderung hervorrufen können.“

Die Forschenden richteten ihren Blick dabei einerseits auf explizite Assoziationen, womit die direkte Nennung von Begriffen wie gefährlich oder Angst (Furcht) bzw. beeindruckend oder erfolgreich (Bewunderung) in Artikeln zu migrantischen oder nicht-deutschen Personen gemeint ist. Andererseits untersuchten sie implizite, also indirekte Assoziationen: „Dafür haben wir Schlüsselwörter identifiziert, die in Artikeln zusammen mit Furcht- oder Bewunderungs-Begriffen genannt werden – und die dann wiederum in anderen Texten mit bestimmten Gruppen in Zusammenhang stehen“, so Müller. Beispiele für solche Schlüsselwörter seien Armut (Furcht) und Fußballstadion (Bewunderung). „Wenn die Leser*innen nun einen Bezug zwischen Furcht und Armut herstellen und dann von einer Personengruppe lesen, die von Armut betroffen ist, verbinden sie künftig diese Gruppe mit der Emotion Furcht.“
Solche impliziten Assoziationen seien für Menschen nur schwer zu erkennen – „deshalb nutzen wir dafür neue Methoden der automatisierten Inhaltsanalyse“, sagt Freudenthaler. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz untersuchten sie so rund 700.000 journalistische Artikel von etablierten deutschen Nachrichtenmedien.
Das Ergebnis: Personengruppen aus ärmeren Ländern und aus Ländern, die sich kulturell stark von Deutschland unterscheiden, werden in der Berichterstattung explizit mehr mit der Emotion Furcht in Verbindung gebracht als andere Gruppen. Besonders interessant sei aber etwas anderes: „Gruppen mit einem hohen Anteil an Muslim*innen in ihren Herkunftsländern werden ebenso wie Gruppen, die einen großen Teil der in Deutschland lebenden Geflüchteten ausmachen, implizit negativer dargestellt – aber nicht explizit“, betont Müller. „Das bedeutet für uns: In den Redaktionen herrscht zwar ein gewisses Bewusstsein dafür, wie sie über Migrant*innen berichten sollten, aber indirekt lassen sich dann doch Vorurteile und Stigmatisierungen in der Berichterstattung finden.“
Einfluss auf Meinungsbildung?
Die nun entscheidende Frage: Welche Auswirkungen hat das auf die Leser*innen? „Dafür haben wir über 2.000 Personen in einem Experiment reale Zeitungsartikel aus unserer Analyse lesen lassen, die explizite Assoziationen mit Furcht oder Bewunderung enthielten“, sagt Müller. In diesen Artikeln ging es um Türk*innen und Griech*innen, „da sie nicht von der aktuellen Migrationsdebatte betroffen sind und wir vermuten, dass die meisten Menschen bereits eine gefestigte Meinung zu Personen aus diesen Herkunftsländern haben“.

Umso überraschender war für die Forschenden, dass sich dennoch Einstellungsänderungen bei den Teilnehmenden messen ließen. „Wir haben nicht erwartet, dass sich die Bewertung von Personengruppen nur durch das Lesen weniger Artikel ändert. Das lässt uns vermuten: Journalist*innen können durchaus Einfluss auf die öffentliche Meinung zu den Gruppen nehmen, über die sie schreiben – und das ist problematisch“, erläutert Müller.
Was würden sie Journalist*innen also empfehlen? „Sie sollten migrantische Gruppen generell mehr zu Wort kommen lassen und deren Alltag abbilden, um zu zeigen, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind – und nicht nur im Kontext von Verbrechen oder sportlichen Erfolgen eine Rolle spielen“, so Freudenthaler, und regt an: „Wieso nicht mal darüber berichten, wie viele Migrant*innen sich ehrenamtlich engagieren?“
Folgeprojekt bereits beantragt
Das Ergebnis ihres Forschungsprojekts sei aber nicht nur für den Journalismus, sondern für unsere gesamte Gesellschaft relevant: „Die Gleichheit aller Menschen ist eines der wichtigsten Ideale einer Demokratie“, betont Müller. „Rassismus und rassistische Vorurteile, insbesondere in der alltäglichen Medienberichterstattung, tragen dazu bei, dieses Ideal zu beschädigen.“ Das wirke sich auch negativ auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das „Wir-Gefühl“ aus. Daher gelte es herauszufinden, woher diese Vorurteile stammen und wie man ihnen begegnen kann, „damit alle Bürger*innen gleichwertig behandelt werden, egal, wo sie geboren sind“, ergänzt Freudenthaler.
Um dazu einen weiteren Beitrag zu leisten, hat das Team um Müller und Freudenthaler bereits das nächste Vorhaben in der Pipeline: „In einem Folgeprojekt möchten wir verschiedene Aspekte von Rassismus in der Berichterstattung untersuchen“, erzählen die beiden Wissenschaftler. „Denn Rassismus ist viel mehr als nur die Verbindung von Gruppen und Emotionen – und dem möchten wir auf den Grund gehen.“
Text: Jessica Scholich / August 2025
Das am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) angesiedelte Projekt der Medien- und Kommunikationswissenschaftler*innen lief von Juli 2022 bis Dezember 2024. Es war Teil des Forschungsverbunds Diskriminierung und Rassismus und wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit knapp 400.000 Euro gefördert.