Mannheimer Corona-Studie belegt gesellschaftliche Veränderungen
Familie und Freunde nicht mehr treffen, arbeiten im Homeoffice und dabei die Kinder betreuen: Das Coronavirus verändert das Leben aller in Deutschland. Wie die Bevölkerung die Einschnitte infolge der Corona-Pandemie auf ihr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben bewertete, erfasste die Mannheimer Corona-Studie. Mit Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, starteten die Sozialwissenschaftlerin Prof. Annelies Blom, Ph.D. und ihr Team die Erhebung der Daten.

Die Mannheimer Corona-Studie zeigt, dass sich das Sozialverhalten der deutschen Bevölkerung während den Anfängen der Corona-Krise veränderte. Vor dieser trafen sich 85 Prozent mindestens einmal pro Woche mit Freunden, Verwandten oder privat mit Arbeitskollegen. Ihre persönlichen Kontakte reduzierten die Menschen dann gegen Ende März und nur noch 30 Prozent verabredeten sich. Anfang Juli, als die Studie endete, erreichten die sozialen Kontakte wieder das Niveau von vor Inkrafttreten der Maßnahmen.
„Mit der Mannheimer Corona-Studie wollten wir dazu beizutragen, den Einfluss der Krise auf Deutschland zu verstehen. Außerdem sollte sie die Öffentlichkeit sowie Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft täglich über die gesellschaftlichen Entwicklungen informieren“, sagt Studienleiterin Blom. Die Teilnehmenden der Studie stellen eine repräsentative Zufallsstichprobe der Bevölkerung dar. Sie nehmen seit Jahren im Rahmen des „German Internet Panel“ am Sonderforschungsbereich 884 „Politische Ökonomie von Reformen“ der Universität Mannheim an Befragungen teil. Dadurch liegen auch verlässliche Informationen zum Leben vor Corona vor.
Während des Lockdowns arbeitete über die Hälfte der Erwerbstätigen vor Ort beim Arbeit- oder Auftraggeber, Anfang Juli stieg die Zahl auf drei von fünf Arbeitnehmern. Insgesamt war während der ersten Monate der Krise knapp jeder Vierte teilweise oder ausschließlich im Homeoffice tätig. „Bei der Beschäftigungssituation sehen wir starke Unterschiede: Deutlich mehr Personen mit hohem Bildungsabschluss und gutem Verdienst arbeiteten im Homeoffice. Personen mit niedrigem Bildungsabschluss waren dagegen stark von Freistellungen und Kurzarbeit betroffen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Katja Möhring, die ebenfalls an der Studie beteiligt war. Besonders diese Personen hatten laut der Studie auch Angst um ihren Arbeitsplatz: Unter Kurzarbeitern sowie mit und ohne Lohn freigestellten Personen fürchteten im Mai etwa ein Drittel um den Arbeitsplatz. Auch Eltern betrafen diese Monate besonders: Etwa neun von zehn Eltern betreuten ihre Kinder teilweise zu Hause und nutzten die Notfallbetreuung fast gar nicht. Insgesamt kümmerte sich die Hälfte aller Frauen alleine um die Kinder.

Das Studienteam lieferte mit seinen Ergebnissen von März bis Juli teils auch verschiedenen Bundesministerien fundierte Daten. Insbesondere der Krisenstab des Bundesministeriums des Inneren, des Bundesministeriums für Gesundheit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales griffen auf die Mannheimer Studie zurück. Neben Informationen zu sozialen Kontakten und zur Akzeptanz verschiedener Einschränkungen spielte für den Stab auch Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit eine Rolle. „Ihre Arbeit ist für die Einschätzung der soziologischen und ökonomischen Wirkungen sehr wertvoll“, so Ministerialdirigent Ralf Göbel zu Professorin Blom.
Im Verlauf der Studie nahm die zunächst große Unterstützung der Maßnahmen von Bund und Ländern kontinuierlich ab. Zu Beginn, Ende März, empfanden mehr als neun von zehn Personen die Schließung von öffentlichen Einrichtungen, zum Beispiel Schulen, oder der Landesgrenzen der Situation angemessen. Anfang Juli befürwortete nur noch jeder Fünfte geschlossene öffentliche Einrichtungen und knapp jeder Dritte geschlossene Grenzen. Knapp Dreiviertel der Bevölkerung unterstützte aber weiterhin das Veranstaltungsverbot. Ebenso sprach sich noch im März eine Mehrheit in Deutschland für erweiterte Sonderbefugnisse der Bundesregierung zur Bekämpfung der Pandemie aus. Die Stimmung änderte sich, als sich Bund und Länder erstmals auf ein gemeinsames Vorgehen einigten und Bundestag sowie Bundesrat entscheidende Gesetzespakete bewilligten. Die Zustimmung für Sonderbefugnisse bei Frauen und Männern lag stets fast auf dem gleichen Niveau und sank während der Pandemie auch im gleichen Maße. Zudem lehnten eher Menschen mit hoher als niedriger Schulbildung die erweiterten Exekutivrechte ab.
Auch der Anteil an der Bevölkerung, der den wirtschaftlichen Schaden höher als den gesellschaftlichen Nutzen der Maßnahmen ansieht, hat sich in den Wochen der Studie verändert. Sahen Anfang März noch knapp Dreiviertel den gesellschaftlichen Nutzen höher als den wirtschaftlichen Schaden, so waren es Anfang Juli nur knapp 61 Prozent. Das Angstgefühl der Bevölkerung blieb jedoch im Erhebungszeitraum kontinuierlich auf einem geringen Niveau.
Text: Yvonne Kaul und Luisa Gebhardt / September 2020