“Es ist wie bei einem schwierigen Spiel – du hast lange trainiert und gewinnst es”

Um seinen Traum von einem Wirtschafts­studium in Mannheim zu verwirklichen, ließ der 39-jährige Robert (das ist der „europäische“ Name von Shih-hsuan) Sun seine Ehefrau und seinen Sohn in der Heimatstadt Taipeh zurück. Nach 13 Jahren Berufserfahrung als Besitzer eines Cafés, macht er jetzt einen Doppel­abschluss an der Mannheimer Business School in Kooperation mit der NCCU in Taiwan und genießt den eher theoretischen Lehr­ansatz an der Universität Mannheim.

Warum hast du Mannheim als zweite Universität für deinen Doppel­abschluss ausgewählt?

Für einen Doppel­abschluss in meinem Internationalen Master of Business Administration an meiner Universität in Taiwan haben wir zwei Länder zur Auswahl: Frankreich und Deutschland. Deutschland hatte ich schon immer im Hinterkopf, weil es eines der Länder ist, die ich am meisten bewundere. Ich entschied mich für Mannheim, denn das Ranking ist sehr gut und die Kurse, die im Rahmen des Mannheimer Masters in Management angeboten werden, passen gut zu meinen Vor­kenntnissen. Ich habe bereits 13 Jahre Berufserfahrung in China gesammelt und besitze deshalb viel praktisches Wissen. Jetzt möchte ich mich mehr auf das systematische und theoretische Lernen fokussieren. Das passt perfekt zum Ansatz an der Universität Mannheim. Alles in allem habe ich das beste Land ausgesucht und die beste Business School mit der größtmöglichen theoretischen Lehre.

Warum hattest du schon immer so ein großes Interesse an Deutschland?

Mein bester Freund ist deutsch. Wir haben in einer Wohnung zusammen gewohnt während er in Taiwan sein Praktikum gemacht hat – so haben wir uns kennengelernt. Wir sind zusammen gereist und haben uns angefreundet. Ich habe meinem Sohn nach ihm benannt, Timo. Er hat mir viel von der deutschen Kultur erzählt und hat damit zu meiner Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, beigetragen. Ich kann mich glücklich schätzen, denn als ich in Mannheim ankam, hießen mich seine Freund*innen hier willkommen. Sie haben mich zu ihren Familien, Events und sogar einer Hochzeit eingeladen. Am Anfang war meine Vorstellung von Deutschland natürlich etwas stereotyp. Aber jetzt, nachdem ich eine Weile hier gelebt habe, habe ich viel von der deutschen Kultur gelernt und habe herausgefunden, dass es sogar noch besser ist als erwartet. Ich bin jetzt schon das dritte Jahr hier. 

Hast du Unterschiede zwischen deinem Studium hier und dem Studium an der National Chengchi University in Taipeh festgestellt?

Es ist komplett anders. Der Lehr­stil in Taiwan ist praxis­orientiert, wir machen viele Projekte, arbeiten im Team und an Fall­studien. Die Uni hier setzt eher auf einen theoretischen Lehr­ansatz und die Professor*innen haben ein fundiertes Wissen über ihr Forschungs­gebiet. Damit will ich nicht sagen, dass die Professor*innen in Taiwan nicht so gut sind, aber sie unterrichten nicht so viel Theorie. Die Prüfungen in Mannheim sind sehr anspruchsvoll: Man hat nur eine Abschluss­prüfung, bei der man sein bestes geben muss. Ich lerne viel, um gut vorbereitet zu sein. Zum Glück habe ich bisher alle Prüfungen bestanden. Ich werde mich mein Leben lang an diese Herausforderung erinnern. Es ist wie in einem schwierigen Spiel – du hast lange trainiert und gewinnst es.

Wie verbringst du deine Freizeit in Deutschland?

Ich unternehme etwas mit Freund*innen, reise, und gehe im Winter Ski fahren. Außerdem lerne ich Deutsch an der Abendakademie, wo ich Freund*innen aus unterschiedlichen Ländern gefunden habe – aus Syrien, Israel oder Afghanistan. Manche von ihnen sind Flüchtlinge. Ich bin so dankbar dafür, dass wir alle die Möglichkeit haben, zusammen Deutsch zu leben. Ich war noch nie in einem Land, das so bunt gemischt ist wie Deutschland und ich mag die internationale Atmosphäre sehr. 

Hast du vor, länger in Mannheim oder zumindest in Deutschland zu bleiben?

Heute ist ein wichtiger Tag für mich: Diesen Nachmittag werde ich meine Master­arbeit abgeben. Ab heute werde ich mich nach Jobs in Mannheim umschauen – obwohl ich schon mein eigenes Geschäft in China habe. Ich bin der Besitzer eines Cafés in Beijing, es heißt „JTX“. Und obwohl ich taiwanesisches Streetfood oder Bubble Tea vermisse, mag ich Deutschland sehr und hab mich dazu entschieden, noch ein bisschen länger zu bleiben. Ich möchte noch mehr reisen und andere Orte in Deutschland kennenlernen, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Ich schätze die Bildungs­möglichkeiten in Deutschland wirklich sehr. Alle meine Freund*innen hier haben starke Überzeugungen und eine offene Weltansicht. Ich hoffe mein zweijähriger Sohn wird das auch erleben. Ich möchte, dass er hier einen Kindergarten besucht. Er und meine Ehefrau sind im Moment noch in Taiwan.

Gibt es denn irgendwelche besondere Erfahrungen, die du während deiner Zeit hier in Deutschland gemacht und davon gelernt hast?

Ich hatte einen Kulturschock. In Deutschland scheint es alltäglich zu sein, sich offen zu kritisieren. In der chinesischen Kultur trauen wir uns das nicht, denn wir sehen die Person als Ganzes. Einmal hat mir jemand ein schlechtes Feedback gegeben und ich dachte, wir könnten nie wieder Freund*innen sein – bis mir meine deutschen Freund*innen erklärt haben, dass man miteinander streiten kann und am nächsten Tag liegt man sich wieder in den Armen und alles ist wieder gut. Dann hab ich eingesehen, dass man sich so schneller weiterentwickeln kann, obwohl es im ersten Moment vielleicht unhöflich erscheint. Nach einer bestimmten Zeit möchte ich in mein Land zurückkehren und meine Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, mit anderen teilen. In China wird uns beigebracht, dass wir immer auf unser Land ohne Zweifel stolz sein sollen. Die Deutschen scheinen ihre Nationalität, die Regierung und die eigene Geschichte zu hinterfragen, um sich weiterzuentwickeln. Diese Philosophie möchte ich mit nach Taiwan bringen. 

Text: Anna-Lena Lämmle / Oktober 2017